Es wurde schon viel geschrieben über Andreas Gahlert. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur mit Master im Industrial Engineering und Management hatte Mitte der 90er Jahre die Digital-Agentur „Neue Digitale“ gegründet und zeigte sich damit als Visionär in den Anfängen des Internets. Von der Dotcom-Blase schier unberührt wuchs die Kreativagentur soweit, dass sie die Aufmerksamkeit des globalen Agentur-Netzwerkes Razorfish erlangte und schließlich im Jahr 2006 aufgekauft wurde.
Andreas Gahlert blieb auch nach der Übernahme seiner vielfach preisgekrönten Agentur als CEO des deutschen Ablegers von Razorfish an Bord und arbeitete mit Kunden wie Audi, adidas, Nintendo of Europe, McDonalds, Nestlé oder Microsoft zusammen. Nach Wachstum auf über 250 Mitarbeiter und nach insgesamt 17 Jahren aber verließ er die Agentur, zuerst um sich mehr seiner Familie zu widmen, mit welcher er unter anderem einen lang ersehnten Auslandsaufenthalt antrat. Zuvor war er noch als Internet-Persönlichkeit des Jahres ausgezeichnet worden (New Media Award).
Nach der verdienten Auszeit, ein paar Start-up Investments und Beirats-Jobs kam der Entrepreneur zurück und überraschte viele seiner Follower mit einem neuen Venture, welches sich komplett von den vorangegangenen abhob. Mit COBI starte er das erste Smart Connected Bike System, welches in einer der bis heute erfolgreichsten Kickstarter Kampagnen in diesem Segment und danach von einigen Venture Capital Unternehmen finanziert wurde und als Pionier in Sachen smarte Bike-Connectivity angesehen werden muss.
Andreas, wie siehst Du Deine Rolle bei der Entwicklung der Connectivity und der smarten, digitalen Funktionalität im Fahrradbereich?
Ich kann mir vorstellen, dass COBI in den ersten Jahren die ganze Branche inspiriert hat. Ich erinnere mich z. B.: Auf der Eurobike sorgten wir für Furore und waren an 11 Ständen gleichzeitig vertreten. Dem Hype aufgrund der Kickstarter-Kampagne in 2014 hat uns über 300 B2B-Kontakte und den Erhalt von 17 Mio. VC-Geld beschert. Damit konnten wir uns ein Top-Marketing leisten und gefühlt wollte jeder Bike- oder Komponenten-Hersteller mit uns sprechen.
Mein Eindruck 2014 war, verglichen mit anderen Branchen, dass die Bike-Branche damals noch wenig digital unterwegs war, was ja nicht verwundert, da bislang eher mechanische Komponenten das Geschäft bestimmten. Also viele Internet-Grundlagen waren unklar „Wozu braucht man das?“ oder „Das ist was für digitale junge Nerds!“ war hier oft zu hören. Inzwischen ist Connectivity und digitale Services zum Alltag in allen Bereichen geworden. Es ist das neue Normal.
Wenn ich mir heute die Fahrradindustrie anschaue, auch nach vielen OE Gesprächen bei Bosch, hat sich doch die letzten Jahre massiv viel getan. Ein Großteil hat digitale Services als das Wachstumsthema deklariert. Ich würde sogar behaupten, dass die Connectivity und Digitalwelle nochmal so groß wird, wie der Sprung zum eBike vor 10 Jahren.
Also zurück zu deiner Frage: Ich würde sagen, die Idee von COBI, das Fahrrad zu vernetzen und mit tollen Features das Radfahren noch komfortabler und sicherer zu machen, ist in aller Munde und wir sind Pioniere in dem Thema. Erst als Start-up, dann beim System-Marktführer und nun in der ganzen Branche…
COBI war nicht perfekt, vor allem in der Hardware, das hat uns Lover und Hater bei den Zielgruppen beschert. COBI polarisierte.
Ja, wir waren damals auch nicht überzeugt, ob man COBI beim E-Bike-Fahren wirklich braucht. 😉 Was waren denn die größten Herausforderungen bei der Entwicklung und Produktion des COBI-Systems?
Es war eine Riesen-Herausforderung, viel größer als erwartet, die zugehörige Hardware zu entwickeln und auf hohem Niveau fertigen zu lassen. In Sachen Software sehe ich uns auch heute noch als Benchmark, aber die Hardware hatte noch viele Kinderkrankheiten.
Besser wurde es dann erst mit dem Smartphone Hub von Bosch, der deutlich weniger fehleranfällig war. Allerdings mussten wir dabei auf coole Features wie Licht und Audio-Feedback des COBI v1 verzichten. Also ich nutze die erste COBI-Variante v1 auch heute immer noch und freue mich darüber wie am ersten Tag.
Da Du Bosch angesprochen hast, Andreas. Wir haben Dich auf der Eurobike oft gesehen, wie Du in ein Gespräch mit Claus Fleischer (Geschäftsleiter Bosch eBike Systems; Anm. d. Red.) vertieft warst. Wie lange hat es gedauert bis Du ihn von Deiner Sache überzeugen konntest und vor allem, was hast Du zu ihm gesagt?
Haha, ihr habt uns echt gespottet? In der Tat haben wir den Kontakt regelmäßig gesucht, da wir ja bei der ersten Version von COBI für Bosch den CAN-Bus „reverse engineered“ hatten. Das hat uns schlaflose Nächte bereitet, da Bosch jederzeit tausende COBIs lahmlegen hätte können bei einem Firmware-Update. So wollten wir also eine Lizenz/ Partnerschaft von Bosch, die wir regelmäßig wieder anfragten. Nach ein paar Jahren war auch Bosch der Meinung, dass das Smartphone eine wichtige Rolle spielen soll. So wurden die Gespräche intensiver und wir haben die kompetitive Wette gemeinsam gestartet, also den Test, ob einem Display oder einem Smartphone die Zukunft des eBikes mehr gehört.
Über den Kauf der COBI GmbH haben wir ja damals umfassend berichtet und ebenfalls ein exklusives Interview mit Dir bekommen. Hat sich die Integration eurer Produkte dann so dargestellt, wie Du es Dir erhofft hattest?
Anfangs hat Bosch die Produkte weitergeführt, allerdings hatten wir notwendigerweise die Prioritäten auf die nächste Generation gelegt (Das Smart System). Die bestehenden COBI-Nutzer waren vernachlässigt. Von mir daher eine große Entschuldigung an alle Besitzer und Unterstützer von damals, dass die Smartphone-App nicht wie geplant und nur sehr langsam weiterentwickelt werden konnte.
Die COBI-Software und -Hardware wurden kaum weiterentwickelt, wie Du sagst. Worauf habt ihr euch dann nach der Übernahme und Integration eures Systems konzentriert?
Unsere Aufgabe war es, Funktionen von COBI und die von eBike Connect zusammenzuführen. Die E-Bikes zu vernetzen, das Radfahrerlebnis durch coole Features aufzuwerten und damit auch die Sicherheit und den Komfort derselben zu erhöhen, gipfelt schließlich im smarten System von Bosch, welches wir im letzten Spätsommer dann vorgestellt hatten. Die Entwicklungszeit betrug über drei Jahre seit 2018 und ist noch lange nicht abgeschlossen. Das Smart System ist als skalierbare Plattform für alle Bike-Hersteller gedacht und begründet die Zukunft von Bosch eBike Systems. Hier kann man noch viel Spannendes erwarten!
Im Rückblick: War Bosch der richtige Partner für dieses Projekt? Bist Du zufrieden, wie sich die Plattform von Bosch verändert hat?
Meiner Meinung nach ist Bosch global die beste Adresse, um solch ein ambitioniertes Projekt zu starten. Als Leiter des Digitalen Business war es in meiner Verantwortung, ein schlagkräftiges Team aufzubauen, die richtigen Tools zu etablieren und die Methoden „digitaler“ zu machen. Auch an der Kultur innerhalb Bosch eBike Systems bzw. Bosch waren Änderungen notwendig, um tolle Talente für den Ausbau der digitalen Transformation zu gewinnen. Die richtige Strategie zu finden und passende Business-Modelle mit den OEM`S zu evaluieren und umzusetzen, waren ebenfalls unsere Aufgaben. Ich bin megastolz auf das, was das Team geschafft hat. Das muss erstmal einer in dieser Industrie hinbekommen.
Klingt sehr spannend! Was hat Dich dazu bewegt, den Konzern bzw. das Start-up im Konzerngefüge dann schließlich zu verlassen? War der Konzern zu schwerfällig, um kurzfristige Entscheidungen oder Ideen umzusetzen? Oder was war der Grund?
Wir haben vier Jahre COBI entwickelt und das Unternehmen aufgebaut, ebenso lange war ich nun für Bosch eBike Systems tätig. Die Funktionalität von COBI.Bike werden nach und nach in die Produkte von Bosch integriert und der Bosch eBike digital Geschäftsbereich steht. Nach 8 Jahren wollte ich aber einfach mal wieder was Neues machen.
Damals und heute. Wie hat sich die Landschaft in Sachen Konnektivität denn aus Deiner Sicht verändert, Andreas?
Wir sehen es alle. Das Thema „Connectivity“ ist in der Branche angekommen. So gut wie alle Hersteller wie beispielsweise PON, Gazelle, Riese & Müller, Greyp, Vanmoof, Cyklaer und viele andere setzen auf Differenzierung mittels digitaler Services bei ihren E-Bikes. Apps wie Strava oder komoot sind als digitale Produkte aus der Sicht ihrer Nutzer kaum mehr wegzudenken. Digitale Zulieferer wie Bosch, Comodule oder Sitael bieten Fahrradherstellern die Möglichkeit, digitale Services zu nutzen und die entsprechende Technologie schnell in ihre Produkte einzubauen…alle sind damit sehr erfolgreich unterwegs. Bosch hat den richtigen Schritt zur richtigen Zeit gemacht und geht mit der kontrollierten Öffnung seines Systems und dem Customizing für die OEs den richtigen Weg. So werden neben den Produktpartnern für die Bosch-App schon bald auch weitere Lösungen von externen Anbietern hinzukommen. Konkurrenten wie Shimano und Fazua gehen ähnliche Wege und zeigen damit auf, dass schon sehr bald keiner mehr das Thema „digital“ ignorieren darf.
Sehr spannende Jahre liegen hinter Dir, Andreas! Da fragt man sich, was kann den digitalen Vordenker in Dir überhaupt noch reizen? Hast Du Pläne?
Stimmt, ich habe in den letzten Jahren wirklich sehr viele unterschiedliche Erfahrungen sammeln dürfen. Vom kleinen Start-up mit wenig Budget (COBI) bis hin zum Leiter der „Digitalen Services“ beim Bosch-Konzern mit entsprechend viel Budget, die aber auch die entsprechenden Herausforderungen innerhalb einer solchen Firmenstruktur mit sich brachte. Ich habe sehr viele OEMs und Partner innerhalb der Bike-Industrie kennengelernt, die zumeist alle ihre speziellen Anforderungen mitbrachten. Dieses Wissen möchte ich gerne weitergeben.
Interessant. Wirst Du dann als externer Berater tätig sein, oder wie soll man sich das vorstellen?
Aus den Zeiten von Neue Digitale/ Razorfish kenne ich ja das digitale Beratungs- und Agenturgeschäft sehr gut. Hier knüpfe ich an und habe zu Beginn des Jahres 2022 ein Unternehmen für die strategische Digital-Beratung gestartet.
Aber mit der „alten“ Agentur hat dies nichts mehr zu tun, oder?
Ein wenig schon, das neue Unternehmen hat drei Leistungs-Schwerpunkte, die sich allerdings vom Focus der früheren Agentur unterscheiden. Diese sind “Connected Biking Solutions” , „Data Plattform Ecosystems“ und „Digital Transformation for Corporates“. Oder auch ganz allgemein helfen wir bei der Digitalisierung von Unternehmen, oft vermischen sich die Themen ja miteinander.
Und in Sachen Beratung? Zu welchen Themen bietest Du Deine Unterstützung an?
Ich denke, hier gibt es einen großen Bedarf seitens der Hersteller. Gerade zu Business-Modellen, Strategien zu Positionierung im Markt, UX Konzepte oder Make or Buy Strategien gebe ich gerne meine Erfahrungen weiter. Natürlich möchte jeder ein GPS-Tracking, Anti-Diebstahl-Services oder auch Navigation und weitere Services in seine Produkte integrieren. Auf den zweiten Blick werden die Probleme dann erst sichtbar…
Die da wären?
Wie kann ich mich über digital differenzieren? Auf welche Features sollte man setzen? Wie binde ich meine normalen Bikes in die digitale Welt ein? Wer setzt das Projekt um? Macht man alles selbst oder kauft man Know-how ein? Welche Experten brauche ich in meinem Unternehmen? Wer bietet sich als Dienstleister an? Was wissen wir über „Digital“ und können wir es richtig einschätzen? Wie nutze ich z.B. die Bosch Platform für meine Ziele am Besten? Ich habe viele OEMs kennengelernt, die alles selber machen wollten, dabei aber unterschätzt haben, wie aufwendig es sein kann, Daten sicher und rechtskonform zu verarbeiten. Auch die Anbindung an Systeme von Shimano, Bosch etc. stellte sich als komplex dar. Hier kann es von Vorteil sein, Kooperationen einzugehen und speziell designte Schnittstellen zu nutzen, als das Rad selbst neu zu erfinden. Man kann eben nicht einfach so eine App für 100k EUR entwickeln. Das unterschätzen dann doch die Meisten.
Werdet ihr euren Kunden dann auch bei der Umsetzung helfen?
Jein, Strategie und Konzeption ist der Focus, die Umsetzung koordinieren wir bei Bedarf. Wir haben inzwischen ein großes Netzwerk an Freelancern, Agenturen und Dienstleistern, die wir einbringen können. Die Kunden begleiten wir optional bei der Auswahl, Umsetzung und dem Live-Betrieb.
Habt ihr schon Kunden und darf man wissen, wer das ist?
Wir sind im neuen Jahr mit zwei tollen Kunden und einem kleinen Setup gestartet. Eine Webseite gibt es noch nicht. Ein Kunde ist z.B. Porsche Digital.
Lieber Andreas,
vielen Dank für das Gespräch! Wir wünschen Dir alles Gute für den nächsten Abschnitt und werden mit Spannung darauf schauen, wie sich Dein neues Unternehmen entwickelt. Da Du der Branche verbunden bleibst, freuen wir uns, wenn wir uns bei passender Gelegenheit einmal wieder in der Realität austauschen können!
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