„Das wird ein Super-Sommer“, sagte Karl Lauterbach kürzlich im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Gemeint hat der SPD-Gesundheitsexperte zwar das absehbare Ende der Corona-Einschränkungen, das Zitat könnte aber durchaus auch als Prognose für das E-Mountainbike-Jahr 2021 und das Messe-Highlight der Bike-Szene, die Eurobike vom 1. bis 4. September in Friedrichshafen, verstanden werden.
Wenn im Fahrradmarkt heute über Mountainbikes gefachsimpelt wird, dann reden die Experten inzwischen vor allem über jene Modelle, die mit E-Motor und Batterie auf Tour gehen. 585.000 E-Mountainbikes wurden im vergangenen Fahrrad-(Rekord-)Jahr laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) in Deutschland verkauft. Zum Vergleich: Mountainbikes ohne Motor gingen im selben Zeitraum 151.000 mal über die Ladentheke. Mountainbikes sind damit neben Lastenrädern die bisher beiden einzigen Kategorien im Fahrradmarkt, in denen mehr Fahrräder mit als ohne E-Antrieb verkauft werden.
Fast jedes dritte verkaufte E-Bike in Deutschland ist ein E-Mountainbike; sie bilden nach Trekkingbikes die zweitgrößte Produktkategorie im E-Bike-Segment. Auch wenn für 2021 noch keine Marktzahlen vorliegen, ist aus den Fahrradläden vielfach zu hören, dass die Tendenz im E-MTB-Markt weiter klar nach oben zeigt. Auslöser dafür ist nicht allein die Corona-bedingte Sonderkonjunktur im Fahrradmarkt, sondern vor allem auch die technische Entwicklung der E-Mountainbikes, die längst auch konservative Sportler für dieses Produktsegment begeistert.
Zumal inzwischen jeder Bike-Sportler ein für seine individuellen Vorlieben zugeschnittenes Bike-Modell findet. Etwa mit dem Mullet-Konzept: Während der Brite unter Mullet vor allem den englischen Begriff für einen Vokuhila-Haarschnitt versteht, schnalzt der E-Mountainbiker anerkennend mit der Zunge. Denn Mullet heißt im Bike-Sprech: vorne großes Rad, hinten kleines Rad. Meisterhaft umgesetzt finden MTB-Fans dieses Konzept beispielsweise beim Modell Uproc 6 der Schweizer Bike-Schmiede Flyer, das nicht weniger verspricht als – O-Ton Flyer – gleichzeitig Uphill-Rakete und Downhill-Rocker zu sein. Der Trick dabei: Das 29 Zoll große Vorderrad bietet viel Laufruhe bergab und auf kniffligen Trails, während das 27,5 Zoll große Hinterrad auch bei steilen Rampen selten den Grip verliert. Dazu gesellt sich noch der formidable Perfomance CX-Motor von Bosch, der mit 85 Nm das Prädikat Spaßmaschine absolut verdient.
Aber geht es nicht mehr nur um höher, schneller, weiter. Bestes Beispiel für diese Entwicklungen sind die vielen neuen E-MTB-Modelle in der aktuellen Fahrradsaison, die mit etwas kompakterem Akku deutlich an Gewicht sparen. Wie etwa das neue Full-Suspension-Modell iLynx vom baskischen Hersteller BH Bikes, das einen selbstentwickelten 65 Nm starken Motor mit einem 540-Wh-Akku kombiniert. Das Gewicht: phänomenale 16,8 kg. Übrigens lässt sich das Bike mit einem zusätzlichen Trinkflaschenakku für längere Touren energiemäßig aufrüsten.
Apropos Gewicht: Noch bis vor kurzem wäre ein Bike wie das neue eONE-Sixty von Merida mit seinen namensgebenden 160-mm-Fahrwerk, drehmomentstarken Shimano-Motor und 630-Wh-Akku ein eher schwerer Vertreter seiner Gattung gewesen. In der aktuellen Fassung – jetzt mit neuem Carbon-Rahmen – bringt das Merida-Bike je nach Ausstattungsvariante nur noch knapp 23 Kilogramm auf die Waage. Nicht unerheblichen Anteil daran hat der neue Shimano-Motor EP8, der gegenüber seinem Vorgänger etwa 10 % leichter wurde – bei gleichzeitig mehr 20 % mehr Drehmoment und 36 % weniger Tretwiderstand. Kein Wunder, dass der Shimano-Antrieb bei den MTB-Herstellern einige Fans hat. „Gemacht für den Spaß bergauf und bergab“, beschreibt etwa der kalifornische Hersteller Marin seine entsprechend ausgestatteten E-MTB.
Kein Trend ohne Gegentrend: Während bei vielen neuen E-MTB-Modellen weniger (Gewicht) mehr ist, protzen andere neue Bikes geradezu mit ihrer unbändigen Akkupower. Ein prominenter Vertreter dieser Entwicklung kommt aus der Mitte Deutschlands: Den hessischen Fahrradhersteller Riese und Müller verortet man nicht typischerweise im E-Mountainbike-Segment. Jene Biker, die unter keinen Umständen auf einer Tour mit leerem Akku stranden wollen, sollten vielleicht dennoch dem Modell Delite Mountain von Riese und Müller mehr als einen zweiten Blick gönnen. Wo andere E-Bikes ihren Akku dezent im Unterrohr verbergen, speist dieser Bolide seinen Bosch-Motor zusätzlich noch mit einem zweiten Akku, der ins Oberrohr integriert wurde. Zusammen ergeben beide Batterien eine Kapazität von satten 1125 Wh. Natürlich geht so viel Power ins Gewicht: Das Superdelite kratzt knapp an der 30-kg-Marke.
Wer sich in diesem Jahr mit einem neuen E-Mountainbike selbst eine Freude (oder eine Belohnung für den überstandenen Lockdown) bereiten will, findet in den Fahrradläden aktuell noch eine durchaus gute Modellauswahl. Nachdem auch die Fahrradgeschäfte monatelang nur unter erschwerten Bedingungen öffnen durften, sind in vielen Läden die Lager zwar nicht mehr prallvoll, aber auch noch längst nicht leergeräumt. Und wer noch keine Eile beim E-MTB-Kauf hat, für den bieten sich die Festival-Days der Eurobike im September an, um sich einen Überblick über die Neuheiten der Fahrradhersteller für das kommende Modelljahr zu schaffen. Am dritten und vierten Messetag, dem 3. und 4. September (Freitag und Samstag), ist die in der Messestadt Friedrichshafen beheimatete Leitmesse der Fahrradszene in diesem Jahr erstmals an zwei Tagen für das Publikum geöffnet. Wie gesagt: Das wird ein Super-Sommer.
Weitere Informationen unter: www.eurobike.com und www.facebook.com/eurobike.tradeshow.