Am Stammsitz der italienischen Marke haben wir uns die Entwicklung und Produktion angesehen und sind später auch mit dem neuesten Modell auf die Trails gegangen
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Ein Besuch des Firmensitzes von Fantic, der vor einiger Zeit aus dem Süden von Treviso nach Santa Maria di Sala umgezogen ist, lag schon länger sehr in unserem Interesse und vor kurzem haben wir dann auch die Chance genutzt. Neben dem Besuch in der Verwaltung mit Marketing, Entwicklung und auch der Produktion war später dann auch eine praxisnahe Testfahrt mit dem im Frühjahr vorgestellten Fantic Rampage angesagt. Wir waren sehr gespannt auf die Eindrücke, die uns im Rahmen des von der Marke organisierten Rampage Media Days für internationale Medien erwartete und möchten unsere Eindrücke hier mit unseren Lesern teilen.

Fantic Motor S.p.a. – Hauptquartier und E-MTB-Produktion

Nach unserer Ankunft in Venedig ging es per Auto durch die dicht besiedelte und industriell sehr erschlossene Region, bis wir dann direkt zur operativen Zentrale von Fantic gelangten. Dieses liegt an der Via Leonardo Da Vinci, jenem weltberühmten italienischen Universalgelehrten, der als Ingenieur ebenfalls an zahlreichen Problemen tüftelte.

An Problemen tüfteln sie hier auch, bis die Produkte dann den hohen Anforderungen der Marke genügen. Dazu aber später mehr. Für uns ging es erst einmal einen Stock höher, wo sich das Marketing von Fantic befindet. Mittlerweile arbeiten hier eine ganze Reihe Menschen daran, die Marke Fantic auch im E-Bike-Segment bekannter zu machen.

Den Entschluss, in diese damals noch recht neue Kategorie einzusteigen, hatte man bereits 2015 kurz nach dem Neustart gefasst und brachte dann im Jahr 2016 auch erste Modelle auf den Markt, auch in Deutschland, wie wir bereits damals berichtet hatten.

In Sachen Motorräder ist Fantic seit den wilden 68ern unterwegs, wurde aber nach stürmischen Erfolgen und späteren Problemen mit Motoren aus China im Jahr 1997 geschlossen. Die Marke wurde einige Jahre später von einem Liebhaber aufgekauft, konnte aber innerhalb von fünf Jahren nicht wiederbelebt werden.

Erst die Übernahme durch die Aktiengesellschaft VeNetWork in 2014, ein Zusammenschluss von Unternehmern aus dem Veneto, brachte den Stein erneut ins Rollen. Damals hatte die Firma gerade einmal sechs Mitarbeiter und setzte kaum eine Million Euro im Jahr um.

Jetzt sind es über 600 Mitarbeiter, die 2022 für einen Umsatz von 200 Millionen Euro sorgten. Dabei hat man im vergangenen Jahr 20.000 E-Bikes hergestellt und verkauft und fast ebenso viele Motorräder. Für 2025 plant man gar einen Umsatz von 500 Millionen Euro, die ein Team von über 1.500 Mitarbeitern erwirtschaften soll: Fantic hat große Pläne!

Seit dem Start im E-Bike-Segment vor über acht Jahren hat man eine stattliche Anzahl an Modellen entwickelt (E-MTB,E-Gravel,E-Trekking, E-City), neue Kategorien entwickelt, die herausragendes Design und moderne Technologie verbinden (Issimo) und hat dabei seine in 2014 eingeschlagene Linie konsequent verfolgt.

Diese Linie setzt auf höchste Qualität und eine 100%ige Herstellung der Fahrzeuge in Italien, im Fall des Issimo wird der Mold-Rahmen von einem Unternehmen in Italien hergestellt. Auch seine Lieferanten, die Fantic als Partner sieht und wohlüberlegt auswählt, bleibt man treu. Denn man ist der Auffassung, dass ein stetiger Wechsel der Zulieferer die Qualität der Produkte gefährdet.

Die in 2019 eingegangene Partnerschaft mit Yamaha hat dieses Vorhaben untermauert. Zuvor Yamahas Kunde über den Motorenhersteller Motori Minarelli, hat man diesen schließlich in 2020 selbst übernommen und stellt seitdem seine eigenen Motoren her. Auch für Yamaha und andere Marken ist man weiterhin tätig.

Dies ebenso im E-Bike-Segment, denn Fantic produziert einen Ableger des Issimo auch für Yamaha, welche diesen dann in ihrem eigenen e-Bike-Portfolio vertreiben, wie wir hier schon öfters berichtet haben. Auch Kooperationen mit anderen Marken werden eingegangen, wie zum Beispiel mit der Audi AG, für deren Ausschreibung Fantic den Zuschlag erhalten hatte.

Im Jahr 2022 hat die Fantic Motor S.p.a. zudem die traditionelle Marke Bottecchia übernommen (mit Tochtermarke Graziella), mit deren Hilfe man sein Produktportfolio noch weiter ausdehnen kann. Zudem gründete man die Marke F Moser, welche die Eigenschaften ihres berühmten Namenspaten Francesco Moser übernimmt (“andere Pfade beschreiten”) und dem Nutzer ein Modell zur Verfügung stellt, welches in Sekunden zum E-Bike umgebaut werden kann.

Francesco Gorghetto zeigt uns das Roadbike der neuen Marke F Moser, …

welches sehr schnell in ein E-Bike und zurück verwandelt werden kann.

Giovanni Ujka, Leiter des Geschäftbereichs Bike bei Fantic, zeigte uns später die Hierarchie der Marken und die Modellpalette für 2024 auf.

Auf einer Empore oberhalb der Prototypen-Werkhalle hat Fantic eine Ausstellung der aktuellen Modellserien eingerichtet. Hier kann man die Produkte der Marke, vor allem im E-Bike-Segment, in allen angebotenen Varianten bestaunen, welches uns dann auch im Rahmen einer kleinen Stärkung zuteilwurde.

Hier trafen dann auch nach und nach die meisten Mitarbeiter am Standort inklusive der Geschäftsführung rund um Mariano Roman ein. Hier erfuhr man dann viel über die Zukunftspläne von Fantic, die auch eine größere Verbreitung im D-A-CH-Raum anstreben. Gianni Mazzeo, unter anderem Mitgründer der Marke FLYER und sehr gut in der Branche vernetzt, ist genau aus diesem Grund für Fantic tätig geworden.

Mariano Roman, CEO Fantic

Für uns ging es dann weiter auf den Weg durch die Abteilungen. Die E-Bikes von Fantic werden dabei allesamt von Grund auf selbst entwickelt, im Beispiel von F Moser brauchte man von der Zeichnung bis zum ersten 3D-Modell nur rund zwei Wochen. Dafür steht dem Team um Enrico Fidelfatti notwendiges Equipment wie ein 3D-Drucker, aber auch Prüfanlagen oder Vermessungsanlagen zur Verfügung.

Enrico erklärt die konstruktiven Maßnahmen am Carbonrahmen

Enrico Fidelfatti am Dauertest-Prüfstand

Insgesamt werden übers Jahr so rund 100 Rahmentests durchgeführt, welche die gewünschten Belastungen simuliert und bis zu vier Testarten gleichzeitig abarbeitet. Wurden diese erfolgreich absolviert, so sind dann Testfahrten mit Prototypen an der Reihe, die dann noch ein Aufdecken von Fehlern oder Problemen in der Praxis ermöglichen.

Fantic Prototypenbau

Aufgebaut werden die Prototypen in der Werkstatt, wo die Monteure in einer Art einer offenen Werkstatt zusammen mit Mechanikern für die Motorräder und auch E-Scooter untergebracht sind. Nur die Arbeiten an den Werksmaschinen der verschiedenen Rennserien sind davon abgeschirmt, wobei in dieser Halle auch ein Lager mit Produkten der Wettbewerber oder auch kommende Produkte der Zulieferer angelegt ist.

Umfangreiches Lager für aktuelle (und kommende) Komponenten

Die insgesamt 40 Fantic-Ingenieure aller Bereiche sitzen unweit davon in einem Raum, was Synergie-Effekte unterstützt. So schauen die E-Bike-Entwickler gerne einmal auf konstruktive Lösungen aus dem Motorrad-Segment und bauen diese in ihr Konzept ein, welches genauso aber auch umgekehrt passiert. Auch für eventuelle Probleme beim Aufbau sind sie schnell verfügbar.

Forschung & Entwicklung im Großraumbüro

Innerhalb der vergangenen fünf Jahre hat man über zehn Patente angemeldet, die Lösungen ermöglichen, welche es so nur bei Fantic gibt. So ist Fantic laut eigener Aussage die einzige Marke, die einen Flip-Chip im Zusammenspiel mit der mittlerweile zum Standard gewordenen Sram UDH-Schaltaufnahme bietet. So kann man auch hier Einfluss auf die Geometrie des E-MTBs nehmen.

Für die Motorabdeckung oder auch den Deckel für das Batteriefach verwendet der italienische Hersteller das Spritzgussverfahren und mischt dem Kunststoff noch Carbonfasern bei, um so die Stabilität und Haltbarkeit der Bauteile zu erhöhen. Der Produktzyklus liegt bei drei Jahren, wobei für die Entwicklung mindestens anderthalb Jahre angesetzt werden.

Durch eine ständige Weiterentwicklung sollen die Produkte der Marke immer besser werden, dazu legt man einen eigenen Standard an, der für überragende Premiumqualität sorgen soll und den üblichen Standard übertrifft. Der Entwicklungsaufwand lohnt sich, denn man so hat beispielsweise das einzige Serienmodell mit Brose Drive S Mag am Markt, welches unter 20 kg wiegt.

Ihre neue Rampage-Serie hat Fantic mit weitergehenden Maßnahmen auf ein Gewicht von 15,5 Kilogramm gebracht, einen Bereich, wo sich derzeit nicht sehr viele Konkurrenten tummeln. Dies wurde unter anderem durch diverse Maßnahmen am Rahmen erzielt, wo das Layup und die Carbon-Strukturen bis zu einer optimalen Lösung hin modifiziert wurden.

Aber auch die Auswahl des Antriebs hat entscheidend dazu beigetragen. Hier hat sich das Fantic-Team rund um Ilaria Chiodi, Produktmanagerin E-Bike, und Enrico Fidelfatti, Entwicklungsleiter E-Bike bei Fantic, für den TQ-HPR50 entschieden, der das richtige Verhältnis aus Leistung und Kompaktheit bei geringem Gewicht darstellt.

Der Antrieb, den wir hier bereits in allen Details vorgestellt haben, lässt sich dank seiner außergewöhnlichen Kompaktheit fast unsichtbar integrieren und ist mit 1,8 Kilogramm zudem sehr leicht. Trotzdem stellt er ein maximales Drehmoment von 50 Nm bei zumeist flüsterleisem Lauf zur Verfügung.

Die zugehörige Batterie ist im Unterrohr des Rahmens untergebracht und stellt 360 Wh an Kapazität zur Verfügung. Zusätzlich steht den Kunden optional noch ein Range Extender mit weiteren 160 Wh zur Auswahl. Fantic hat darauf geachtet, dass sowohl die Zusatzbatterie, als auch eine Trinkflasche mit 500 ml problemlos ins Rahmendreieck passen.

Vom Fantic Rampage, hier alle Details zur neuen Serie, gibt es zwei auf XC-Einsatz optimierte Varianten, denen drei noch potentere Versionen zur Seite gestellt werden, die hinsichtlich der Komponentenauswahl auf Downcountry ausgerichtet wurden.

Produziert werden die E-Mountainbikes nur ein paar Schritte entfernt von der Zentrale. Hier findet man neben einem mehrstöckigen Büroabschnitt eine überaus große Produktionshalle vor, wo die E-Bikes an derzeit zwei Linien produziert werden. Die maximale Ausbringung könne dabei bis zu 200 Modelle pro Tag erreichen, wie man uns auf Nachfrage mitteilt.

Fantic E-Bike-Produktion

Aktuell ist die Auslastung aber nicht so hoch und so haben wir Gelegenheit, die Produktion im Detail anzuschauen, ohne die Mitarbeitenden zu sehr zu stören. Diverse Bauteile und Komponenten wie Lenker samt Vorbau werden vorgerichtet, manche Komponenten wie z.B. Laufräder kauft Fantic komplett ein. Grund ist hier die höhere Kompetenz der Lieferanten für die speziellen Produkte.

Federico erklärt den Ablauf

An den einzelnen Stationen hat jeder Mitarbeiter seine Aufgabe. In Sachen Qualität kontrolliert dieser zudem die Arbeit der vorigen Station, wodurch sich ein eventuelles Problem auch schnell lösen lässt. So muss auch die Endkontrolle nicht allzu umfangreich ausfallen, wie man mitteilt, da die Fehlerquote grundsätzlich sehr gering ist. Stichprobenkontrollen bestätigen dies.

Nach dem finalen Check warten die E-Bike-Modelle dann noch auf die Vorbereitungen für den Versand inklusive der Verpackung, bevor diese in derselben Halle nochmals zwischengelagert werden, bevor es dann auf die Reise zu den verschiedenen Händlern in Europa bzw. weltweit geht. Gerade in Südamerika sind die Modelle der Marke bereits sehr beliebt.

Dass hier noch Raum und Platz für den Ausbau der Produktion bestehen, sieht man sofort. Im integrierten Bürotrakt, den wir uns auch noch kurz angesehen hatten, sind auch Räume für Schulungen und Vorträge gegeben. Hier werden laut Fantic dann auch Händler mit den Besonderheiten der E-Bikes vertraut gemacht.

Wir verließen danach die Produktionsstätte und gingen wieder zurück zum Fantic Headquarter, wo wir die Abfahrt zur nächsten Station abwarteten, der Foresteria Borgoluce. Der als Gästehaus umgebaute Bauernhof liegt in der traumhaften Hügellandschaft in der Nähe von Susegana und gehört den Familien di Collalto und Giustiniani, die auf 1.000 Hektar zusammenhängendem Land nachhaltige Bewirtschaftung pflegen.

Dazu mehr im zweiten Teil, den man hier findet.

Transparenzhinweis: Der Autor wurde von der FANTIC Motor S.p.A. zu diesem Event eingeladen und übernahm dabei die Kosten für Anreise, Unterbringung und Verpflegung. Auf die redaktionelle Berichterstattung und die Meinung des Autors hatte dies keinen Einfluss.