Das ECROSS 2022 von EXESS Bikes wurde erstmals zum BIKE Festival Garda Trentino im vergangenen Oktober gezeigt. Für die kommende Saison hat man dem ultimativen E-Downhiller ein Fox-Fahrwerk verpasst, nicht zuletzt aufgrund hoher Nachfrage der interessierten Kundschaft. Bereits seit dem letzten Jahr hat der Motocross-Spezialist aus Rheinland-Pfalz das ECROSS im Programm, in der ersten Variante setzte EXESS Bikes aber auf die weniger gängige Manitou Dorado Expert Federgabel mit Doppelbrücke und einen linear abgestimmten Coil-Dämpfer von Rock Shox, die zusammen hervorragend funktionieren. Wie sich das 2022er Modell mit den geänderten Komponenten nun über die härtesten Trails bewegen lässt, haben wir in einem aktuellen Test herausgefunden.
EXESS ECROSS 2022 im Detail
Gegenüber dem im letzten Jahr vorgestelltem EXESS ECROSS hat sich die neue Version für die kommende Saison kaum verändert. Einzig die zuvor komplett schwarz gehalten Federelemente mit 200 mm Federweg weisen jetzt mit Factory-orangenen Decals darauf hin, dass indessen Komponenten des US-amerikanischen Federungsspezialisten verbaut werden. Aus Sicht der Performance wäre dieser Schritt nicht notwendig gewesen, teilt uns Jürgen Schulz bei der Abholung des Testbikes mit, seines Zeichens Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer der auf Motocross spezialisierten S-Tech Racing GmbH im rheinland-pfälzischen Göllheim.
Fahrwerk & Rahmen
Allerdings hätten viele Interessenten für das ECROSS immer wieder nach Fox Federungskomponenten gefragt, so dass man sich schließlich für einen Wechsel entschieden habe. Der Ingenieur lässt uns allerdings nicht mit dem E-Downhiller von dannen ziehen, ohne uns ausgiebig zu erklären, warum viele Fahrwerke von E-Mountainbikes gängiger Marken nicht optimal für alle Fahrertypen ausgelegt bzw. abgestimmt sind und welchen Unterschied man beim ECROSS mache.
Die Federungssysteme durchweg progressiv abzustimmen ist für ihn der falsche Weg, wie er anschaulich auch in einer kurz per Hand angefertigten Zeichnung erklärt. Bei gängigen 25 bis 30 Prozent SAG würde sich das Fahrwerk dann je nach Fahrer bei großen Schlägen so verhärten, dass es seiner Aufgabe nicht mehr nachgehen richtig kann. Ein lineares Fahrwerk hingegen kann bei richtiger Abstimmung in Bezug auf high/ low speed compression auf den jeweiligen Anwendungsfall eine durchgängige Arbeit des Fahrwerks gewährleisten.
Kurz zusammengefasst sollte man sich an den Fahrwerken der MX-Boliden orientieren, die sich seit langem bewährt haben und speziell auf die Nutzung im Gelände ausgelegt werden. Sowohl Einsteigern in den E-Downhill, wie auch fortgeschrittenen Fahrern oder gar Profis würde diese Vorgehensweise entgegenkommen. Wer die Fahrwerke aktueller Mountainbikes bzw. vor allem E-Mountainbikes mit viel „Gegenhalt“ gewohnt ist, würde sich zwar an die Einstellung des ECROSS umgewöhnen müssen, die Unterschiede aber schließlich deutlich als Vorteil verspüren.
Um die Performance auf dem gewünschten Level zu halten, werden alle EXESS ECROSS jedenfalls auf den jeweiligen Nutzer abgestimmt, sowohl in Sachen Gewicht wie auch hinsichtlich des Fahrkönnens. So kommt dann jeder Kunde in den Genuss, die perfekte Leistung des ECROSS Fahrwerks im Downhill nutzen zu können.
Der selbst entwickelte Carbonrahmen des EXESS ECROSS geht ohne Änderungen in die neue Saison und integriert den Fahrer weiterhin zentral ins Bike. Der lange Radstand verweist auf den Downhill als Hauptnutzungszweck, wobei man bei EXESS Bikes aber betont, dass man mit dem Modell auch problemlos Sonntagstouren mit der Familie absolvieren kann, bevor es mit den Buddys wieder steil bergab geht.
Wie gehabt, ist der Rahmen gemäß der ASTM Klasse 5 zertifiziert (samt Zedler Advanced Plus XXL Prüfsiegel ) und somit für die härtesten Trails problemlos geeignet. Trotz der langen Kettenstreben und Radstands soll das Modell eine gute Portion Agilität mitbringen, was wohl auch an den zutage eher weniger genutzten Laufrädern in 27,5″ liegen dürfte.
Motor & Akku
Für einen standesgemäßen Vortrieb ist der Bosch Performance Line CX der 4. Generation zuständig, der mit 85 Newtonmeter gut im Futter steht und vor so gut wie keinem Berg zurückschreckt. Das Entwicklungsteam des ECROSS kombiniert den Antrieb mit dem Bosch PowerTube-Akku mit 625 Wh, der angesichts des Anwendungszwecks völlig ausreichend erscheint.
Der Akku ist entnehmbar und wird von einer stabilen Abdeckung vor Steinschlägen und Verschmutzung geschützt. Der Hersteller liefert lobenswerterweise gleich den Fast Charger von Bosch eBike Systems mit, der mit 6A lädt und einem so z.B. bei der Mittagspause schnell wieder zusätzliche Kilometer für weitere Laps im Bikepark verschaffen kann.
Das über dem Vorbau positionierte Kiox-Display bringt rudimentäre Navigationsfunktionen mit und kann dem Nutzer so auch auf den oben angesprochenen Touren nützlich sein. Für den Anwendungszweck ist es auf jeden Fall mehr als ausreichend und hätte vielleicht nur noch etwas geschützter montiert werden können, da ein kleiner Sturz auf Downhillstrecke doch durchaus einmal vorkommen kann.
Weitere Ausstattung
Als Mittel zum Zweck verbaut EXESS Bikes „nur“ eine 11-fach-Schaltung aus Srams GX-Serie, die in Zusammenarbeit mit dem starken Antrieb jedoch völlig ausreichend erscheint. Mit 410 % Bandbreite dürfte man jedenfalls kaum an Grenzen geraten. Eine Grenze für die Geschwindigkeit setzt jedenfalls aber die Magura MT7 Bremsanlage, die mit vier Kolben vorne und hinten daherkommt und jeweils mit Bremsscheiben in 220 mm kombiniert wird.
Auch die übrige Ausstattung ist nicht zu verachten, angefangen von der eher selten verbauten Manitou Jack Sattelstütze, die einen maximalen Hub von 150 mm bereitstellt. Am Raceface Atlas Lenker gesellen sich Grippler Griffe derselben Marke hinzu, während der Fizik Terra Aidon für einen guten Kontakt zum Bike im Uphill sorgen kann.
Die Schwalbe Reifen, im Detail der Magic Mary vorne und der Hans Dampf hinten, sorgen indessen auf den super-stabilen DT Swiss FR1950 Laufrädern für guten Griff zum Untergrund, leider aber ab Werk nur in der „Super Trail“ Ausführung. Gemäß der Auslegung des Modells wäre zumindest die Variante „Super Gravity“, wenn nicht sogar „Super Downhill“ angebracht.
Im Fahrtest
Wie schon zuvor beschrieben, hat das ECROSS im Vergeich zu anderne E-Mountainbikes ein sehr besonderes Fahrwerk. Dieses gründet aber nicht auf speziellen revolutionären Federelementen – verbaut sind 2022er Fox 40 und FloatX2 – sondern auf dem Wissen, welches die Marke EXESS durch ihre Mutterfirma S-Tech Racing mitbringt. S-Tech Racing hat sich unter anderem auf das Feintuning von Motocross-Fahrwerken spezialisiert und hat dieselben Prinzipien aus dem MX-Rennsport auf ihr im ECROSS verbautes Fahrwerk übertragen.
Es ist einleuchtend, dass umso mehr Grip vorhanden ist, je öfter die Reifen Bodenkontakt haben. Ein gutes Fahrwerk will genau das erreichen. Die Macher rund um Jürgen Schulz haben aus dem Motocross-Sport gelernt, dass dieses durch ein möglichst lineares Fahrwerk zu erreichen ist. Ein lineares Fahrwerk verhärtet umso weniger, je mehr Federweg man nutzt. Ein progressives Fahrwerk verhält genau gegensätzlich dazu: Je mehr Federweg verbraucht wird, umso härter wird es und umso mehr Gegendruck spürt man.
Das lineare Verhalten der Federung spürt man schon auf den ersten Metern, das ECROSS fühlt sich sehr linear und weich an. Trotzdem steht man hoch im Federweg und kleine Hindernisse wie Bordsteine werden mühelos weggeschluckt. Die erste Ausfahrt mit dem Bike hatten wir am Strommastendownhill in Karlsruhe, mit großen Sprüngen, ruppigen Steinfeldern, hohen Absätzen und bikeparkmäßigen Anliegerkurven genau das, wofür man 200 mm Federweg braucht.
Bei E-Mountainbikes ist man es ja gewohnt, dass das Fahrwerk gefühlt um einiges besser arbeitet als bei normalen Bikes, das ECROSS vermittelte dieses Gefühl aber deutlich stärker. Über Steine und Wurzeln klebt es am Boden und lässt sich, trotz 27,5″-Laufrädern, kaum aus der Ruhe bringen. Hierbei sind Dämpfer und Gabel so gut aufeinander abgestimmt, dass man sich fast schon auf dem Racing-Boliden eines Weltklasse-Fahrers vermutet.
Und wie ein solcher beginnt man die Geschwindigkeit mit jeder Abfahrt hochzuschrauben, wobei sich auch gegen Ende bei den höchsten Geschwindigkeiten das Fahrwerk vorhersehbar und butterweich anfühlt und Steine und Wurzeln klaglos und ohne Murren schluckt. Diese Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten kommt aber nicht nur durch das Fahrwerk, auch die Geometrie spielt eine große Rolle.
Im Vergleich zu anderen Downhillbikes wie dem Santa Cruz V10 oder Commencal Supreme fällt auf, dass fast alle Werte extremer gewählt wurden. Die Kettenstreben und der Reach sind länger, der Stack ist höher und der BB-Drop deutlich niedriger. Dieses Gesamtpaket funktioniert unglaublich gut, man steht zentral im Bike und nimmt durch den langen Reach fast automatisch die richtige Position auf dem Bike ein. Der Lenkwinkel ist mit 65 Grad relativ steil. Wahrscheinlich war der Gedanke dahinter, das Bike auch für normale Trails angenehm fahrbar zu machen. Das ist auch gelungen und eine Auswirkung auf das High-Speed-Verhalten ist nicht spürbar.
Erstaunlich war auch, wie leicht man sich mit diesem Bike in Kurven legen kann. Es fühlt sich fast so an, als ob das EXESS ECROSS selbst um die Kurve will und einen automatisch in die richtige Kurvenlage bringt. Auch bei offenen Kurven ist es kein Problem, das Bike unter sich in Schräglage zu bringen. Das überträgt sich auch auf Ruts, sowohl in steilem als auch flachen Gelände. Nur wenn Ruts und Kurven sehr eng werden wird es manchmal schwer, das lange Bike zackig zu manövrieren.
Apropos Schräglage: Hier können wir uns direkt dem Sprungverhalten widmen, denn trotz weichem Fahrwerk ist es kein Problem, von großen Kickern oder kleinen Wurzeln oder Steinen auf dem Trail abzuziehen. Durch die gute Fahrwerksabstimmung kann diese Fahrweise auch immer gut kontrolliert und sicher gestaltet werden, wobei sich das Bike an das Können des Fahrers anpasst. In der Luft liegt das Bike durch sein Gewicht auch stabil, lässt sich aber für extra Steeze-Punkte trotzdem leicht quer- oder in sonstige Richtungen bewegen.
Das einzige Problem mit dem linearen, weichen Fahrwerk gibt es bei sehr harten Landungen. Hier tendiert das Bike logischerweise eher zum Durchschlagen. Das kann aber auf mehrere Weisen behoben werden (z.B. mit einem IRT-System), wenn es beispielsweise das Ziel wäre, mit dem ECROSS Jumplines zu fahren. Auch wenn es um den Uphill geht, kann das Modell von EXESS punkten. Der Bosch-Motor mit 85 Nm hat uns bergauf noch nie enttäuscht und gepaart mit den langen Kettenstreben, die einen nicht so schnell nach hinten kippen lassen, ist man auch in steilem Gelände gut gewappnet.
Das einzige was im Uphill auffällt ist, dass das ECROSS wohl nicht das effizienteste Bike ist. Die 27,5er Laufräder mit Downhill-Bereifung und der große Federweg nehmen im Vergleich zu anderen Bikes etwas mehr Energie auf, wodurch die Batterie minimal schneller leer wird. Dafür bekommt man aber 1A Performance geliefert, sobald man den Uphill hinter sich lässt und der Weg nach unten beginnt.
- stabiler, gut verarbeiteter Carbonrahmen
- starker Antrieb
- ausreichend große Batterie
- sehr gut funktionierendes Fahrwerk
- ausgeklügelte Geometrie
- Top Komponentenauswahl
- hochwertige Verarbeitung
- Preis im Vergleich fair
- Reifen mit stabileren Karkassen wünschenswert
- Fahrwerk “schluckt” etwas Antriebsleistung
EXESS ECROSS 2022
Motor: Bosch Performance Line CX, 250 W, 85 Nm
Batterie: Bosch PowerTube 625, 625 Wh
Display: Bosch Kiox
Rahmen: Vollcarbon, 200 mm
Gabel: FOX 40 FACTORY FLOAT, 203 mm
Dämpfer: FOX FACTORY FLOAT X2
Schaltung: SRAM GX, 1×11
Bremsen: Magura MT7, 220 mm v/h
Kurbelgarnitur: SRAM X1, 150 mm
Vorbau: Truvativ Direct Mount, 50 mm
Sattelstütze: Manitou Jack, 150 mm
Sattel: Fizik Terra Aidon
Laufräder: DT Swiss FR1950 27,5″
Reifen: Schwalbe Magic Mary 2.8″ / Schwalbe Hans Dampf 2.8″ Super Trail v/h
Gewicht: 25,5 kg
zul. Gesamtgewicht: 135 kg
Preis: 8.490 EUR
Hier noch ein Full Run auf dem Strommasten-Downhill in Ettlingen:
Transparenzhinweis: Das EXESS ECROSS 2022 wurde uns seitens der S-Tech Racoing GmbH für den Testzeitraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf das Testergebnis und unsere Meinung hatte dies keinen Einfluss.
Unser Fazit | EXESS ECROSS 2022 – kompromissloser E-Downhiller im ersten Praxistest
Ultimativer E-Downhiller
Das EXESS ECROSS 2022 ist ein großartiges Bike, wenn man schnelles Geballer und ruppige Trails mag, oder wenn man normale Trails fahren, und sich währenddessen wie auf einem Sofa fühlen möchte. Es ist mit seinen 200 mm ein Nischenprodukt mit Top-Performance, macht es einem dadurch aber sehr einfach, Standard-Trails zu fahren.
Wer also ein E-Mountainbike sucht, mit dem die Trails im Stadtwald fordernd sind, ist hier falsch. Wer dagegen harte Dinger wie zum Beispiel in Heidelberg, Darmstadt oder Karlsruhe vor der Haustür hat, wird hier Spaß haben. Wir hatten auf jeden Fall viel Freude mit dem Teil und geben dem ECROSS 2022 daher die Note „Sehr gut“.