Im Jahr 2011, dem Zeitpunkt, ab welchem wir uns von Pedelecs & E-Bikes mit dem Thema Elektrofahrrad näher beschäftigt haben, kam keiner in diesem Bereich an BionX vorbei. Die besten E-Bikes zu jener Zeit waren mit Antriebssystemen der Kanadier ausgerüstet, von einer Marktführerschaft von Bosch war damals noch keine Rede.
Im Gegenteil: Noch Anfang des Jahres 2011, auch nach der Vorstellung des ersten Antriebs von Bosch eBike Systems auf der Eurobike 2010, konnte sich BionX guten Mutes Marktführer im Segment der E-Bike Antriebe nennen.
So hatte kaum ein Fahrrad- bzw. E-Bike-Hersteller, der etwas auf sich hielt, nicht wenigstens ein Modell mit BionX-Antrieb im Portfolio, welches dann meist mit an der Spitze des Portfolios rangierte. Zudem waren Nabenmotoren noch deutlich verbreiteter als heute, die Vormacht der Mittelmotoren war bei weitem nicht so stark.
In den folgenden Jahren änderte sich die Stellung des Global Players aber zunehmend und die Produkte des Unternehmens wurden subjektiv immer weiter in den Hintergrund gedrängt, während die Antriebe und Innovationen anderer Hersteller immer mehr die Oberhand gewannen.
Wie konnte das geschehen?
Vom Startup zum Global Player – die BionX Geschichte
Doch erst einmal der Reihe nach. Es hat seinen Grund, warum die Kanadier als Pioniere des Heckmotors bezeichnet werden. Dabei hatte der Beginn der Geschichte rein gar nichts mit dem Fahrrad zu tun.
Die Gegend um den Heimatort von Jean-Yves Dubé ist bekannt für ihre großen Asbest-Minen, wo der Rohstoff im Untertagebau abgebaut wurde. Den Abtransport des Minerals übernahmen dort große LKWs, die mittels elektrischer Nabenmotoren angetrieben wurden.
Jean-Yves Dubé war dort lange für die Wartung und Reparatur der Nabenmotoren zuständig. Er kannte das Prinzip der Antriebe in- und auswendig, bevor er erst später zum Entschluss kam, elektrische Fahrradantriebe nach dem gleichen Prinzip zu konstruieren.
Start mit “AmiGo” Antrieb
Dafür gründete er die Firma EPS (Energy and Propulsion Systems) und brachte dann den elektrischen Fahrradantrieb “AmiGo” auf den Markt. Schon die erste Generation des Antriebs konnte mit einer guten Kraftsensorik (DMS-Streifen auf der Hinterachse) überzeugen, brachte eine weiche einsetzende, aber kraftvolle Unterstützung mit und sorgte so für einen hohen Fahrkomfort.
Zudem ließ sich der Antrieb gut nachrüsten (nahezu alle Fahrräder mit Kettenschaltung), war als Direktläufer so gut wie geräuschlos im Betrieb und konnte eine Energierückgewinnung (Rekuperation) zur Reichweitenverlängerung bieten, die auch als Trainingshilfe mit simulierten Berganstiegen dienen konnte.
Die erste Generation des Antriebs von EPS wurde nahezu ausschließlich als Nachrüstsatz in Kanada verkauft und konnte damit unter den kanadischen Pedelec-Kunden einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent erreichen. Erst zu Beginn der 2000er Jahre wurde EPS auch außerhalb seines Heimatmarktes bekannter.
Aus “AmiGo” wird BionX
Im Zuge globalen Ausweitung gab Firmengründer Jean-Yves Dubé seine Firmenanteile an Pascal Larose ab, der mit Hilfe seiner Erfahrungen aus der Automobilindustrie die Weiterentwicklung der Produkte bis zum Jahre 2014 in Richtung Großserie vorantrieb.
Mit dem Wechsel folgte auch der Auftritt unter dem neuen Markennamen BionX, welcher bis heute bekanntlich Bestand hat. Für den weiteren Erfolg sorgte mit Robert Guimond ein weiterer Mitarbeiter von EPS, welcher sich von 2004 bis 2006 für eine beschleunigte Marktentwicklung einsetzte und auch das OEM-Geschäft weiter vorantrieb.
Er stellte sich diversen Fahrradherstellern in Europa vor, darunter KTM, Diamant, Derby Cycle oder auch Riese & Müller. Diese standen zwar der neuen Technik offen gegenüber und konnten sich damit die Gewinnung einiger Neukunden vorstellen, glaubten im Gegenzug aber nicht daran, dass sich die Bestandskunden sehr für die elektrisch angetriebenen Fahrräder begeistern würden. Jeder weiß heute, dass diese Einschätzung nicht stimmte.
Magna kauft BionX
Einen großen Anteil an der Entwicklung der folgenden Jahre hat das Treffen von Pascal Larose mit einem Vertreter von Manfred Gingl, dem damaligen Chef von Magna Marque, der sich nach vielversprechenden Technologien in der Elektroradbranche umsehen sollte. In kurzer Zeit nach dem Treffen übernahm Magna Marque BionX und die dahinter stehende Firma EPS mehrheitlich.
So wurde aus dem kleinen kanadischem Startup plötzlich ein Teil des weltweit operierenden Magna Konzerns, was sich auch auf die Verkaufszahlen auswirkte. Zum Ende der 2000er Jahre waren die Absatzzahlen stark wie nie zuvor und stellte das globale Unternehmen hinsichtlich dem erforderlichen Ausbau des Händlernetzes, der Ersatzteilversorgung und der Handelsunterstützung vor große Probleme.
Schließlich baute man anstatt einiger 1.000 Stück im Jahr nun mehrere 10.000 Einheiten der verschiedenen angebotenen Serien im Jahr. Dies und die Transformation des kanadischen Startups in die globale Konzernstruktur stellten die Verantwortlichen vor große Herausforderungen.
Innovation folgt Ernüchterung
Zwischen 2011 und 2012 folgte eine Umstellung der BionX-Systeme von 36 auf 48 Volt. Leider traten damit gehäuft Ausfälle an den Batterien auf, die massenhaft den Geist aufgaben. Der Grund war nicht nur bei BionX zu suchen. Sowohl die meisten Händler als auch die Kunden kannten sich nur oberflächlich mit der Pedelec-Technik aus, zudem war BionX mit dem Bearbeiten der ganzen Reklamationen überfordert.
Auch wurden verstärkt Antriebe für die aufstrebende Klasse der E-Mountainbikes benötigt. Speziell für Steigungen optimierte Motoren waren aber noch nicht entwickelt, so dass man auf die bekannten BionX-Motoren setzte. In der Folge häuften sich auch hier technische Probleme und reihenweise aufgrund Überhitzung zerstörte Motoren.
In der Folge entwickelte BionX die D-Serie als für E-Mountainbikes optimierten Antrieb, der dann noch mehrmals verbessert wurde. Trotz guten Tests und ausreichend Drehmoment (50 Nm) ist der Antrieb an so gut wie keinem Modell eines bekannten Herstellers serienmäßig verbaut. Das Vertrauen der meisten Partner und Kunden scheint verspielt.
Demnach war in nur zwei Jahren das bis dahin tadellose Image des Spezialisten für Heckantriebe zerstört und die OEM-Kunden wandten sich reihenweise ab. Statt auf BionX-Antriebe setzten Diamant, Riese & Müller oder auch KTM ab sofort und meist noch bis heute ausschließlich auf den Bosch-Antrieb. Selbst die Marke WHEELER, lange Zeit nur mit BionX unterwegs, setzt mittlerweile auf Antriebe von Yamaha.
Wie konnte es soweit kommen?
BionX hörte auf seine Kunden. Im Nachhinein kann man sagen, vielleicht zu sehr. Hatten die Kunden Sonderwünsche, versuchte das Team des Antriebsherstellers dies auch möglich zu machen. Und das Entwicklungsteam war groß, viel größer als dies bei den meisten Konkurrenten der Fall gewesen ist.
Was man dabei aber nicht bedachte, war neben den horrenden Entwicklungskosten die Tatsache, dass man die ganzen Entwicklungen auch hinsichtlich der Ersatzteilversorgung auf einem aktuellen Stand halten musste. In Hochzeiten waren rund 15 Gehäuseformen und 30 verschiedene Batterie-Varianten im Umlauf. Kein zu unterschätzender Aspekt…
Allein bei den Akkus gab es aufgrund ständiger Innovationen im Zellenbereich immer häufiger “bessere” Zellen, die eine zeitnahe Aktualisierung der Ersatzteilbestände notwendig machte. Die Kosten wurden dem Kunden aufgeschlagen, was die Pedelecs für die Endkunden auch nicht gerade attraktiver machte.
Von den Beteiligten wurde die Pedelec-Technik weniger komplex eingeschätzt, als sie in Wirklichkeit ist. Das Einlassen auf spezielle Kundenwünsche hatte Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems und im Endeffekt auch auf das Image von BionX als Antriebshersteller. Die Kanadier stehen damit lange nicht alleine da, denn auch andere Hersteller wie Panasonic haben sich mittlerweile dem Kunden geöffnet und haben in der Folge mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.
Wie reagierte BionX?
Die Kanadier, mittlerweile wieder herausgelöst aus dem Magna-Konzern und eigenständig unterwegs, haben den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Stattdessen haben sie versucht, aus ihren Fehlern zu lernen und mit großem Aufwand dafür gesorgt, dass ein solches Debakel wie mit dem 48-Volt-Batterien nicht noch einmal vorkommen kann.
Um einen Überblick über alle verbauten Komponenten zu behalten, wird deren Einbau quasi in Echtzeit protokolliert. So weiß man bei BionX heute ganz genau, welcher Antrieb und welche Batterie in einem bestimmten E-Bike verbaut ist und kann im Servicefall umgehend richtig reagieren. Möglich wird dies durch ein etabliertes Computersystem, welches jede Bauteilaktivierung oder -änderung überwacht.
Man kennt die eventuellen Probleme der jeweiligen Bauteile und weiß, ob es sich lohnt zu reparieren oder auszutauschen. Die defekten Bauteile sollen keinesfalls zurück ans Werk oder an einen lokalen Servicestützpunkt geschickt werden. Oft kann die fehlerhafte Komponente auch lokal vom Händler entsorgt werden. Über das dafür eingesetzte Bionx BIB und BBI System (mittlerweile auch in Version 2) haben wir hier auch berichtet.
In Sachen moderner Antriebe und Integration der Komponenten sind die Kanadier seit Anfang vorne mit dabei, leider wurden die Neuheiten bisher aber nur bei wenigen, eher unbekannten Herstellern eingesetzt.
Phönix (BionX) aus der Asche?
In Sachen Service macht den Kanadiern auch heute kaum einer etwas vor. Seit den großen Problemen in Folge der Umstellung auf 48 Volt hat man alle Register gezogen, damit so etwas nicht wieder vorkommt. Damit steht der Hersteller in Sachen Kundenservice und Reklamationsbearbeitung so gut da, wie niemals zuvor. Das Problem: Davon weiß so gut wie keiner! 🙁
Kaum ein bekannter OEM (außer aktuell vielleicht Elby) verbaut noch BionX Antriebe ab Werk, so dass sich das Hauptgeschäft von BionX wie bei der einstigen Gründung des Startups um die Nachrüstsysteme dreht. Den sehr erfolgreichen Geschäftsbereich der Antriebslösungen im medizintechnischen Bereich, wo BionX federführend ist, lassen wir hier außen vor, da es uns rein um die E-Bike-Antriebe geht.
Da die Nachrüstthematik aber auch für Experten in Sachen Sicherheit und Tauglichkeit nicht ohne Weiteres überblickt werden kann, wäre für BionX der Einsatz ab Werk die bessere Lösung. Potential und zahlreiche Vorteile hätten die modernen BionX Heckantriebe durchaus – vor allem im urbanen Sektor.
Wir jedenfalls sind gespannt, wie sich die Geschichte des Unternehmens weiter entwickelt. 🙂
Mit Informationen von Hannes Neupert, ExtraEnergy Magazin Nr. 11. Vielen Dank!
Korrektur: Der Artikel hatte einige, faktische Fehler, welche nicht die aktuelle Situation wiederspiegeln. Dabei wurde verschwiegen, dass BionX mittlerweile nicht mehr zum Magna-Konzern gehört oder dass das Unternehmen im Bereich der medizin-technischen Antriebslösungen federführend ist. Wir haben die fehlerhaften Passagen korrigiert und entschuldigen uns für die falsche Sicht auf das Unternehmen BionX, die dadurch entstanden sein könnte.
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14. Dezember 2017
Ich sehe den größten Vorteil der BionX-Antriebe im ungeschlagen hohen Dauermoment, was fürs Bergfahren von Vorteil ist.
Der einzige regelungstechnisch vergleichbare (mMn sogar bessere) Antrieb ist der GoSwissDrive, der aber selbst bei geringen Steigungen zum überhitzen neigt.
Mittelmotoren kommen bei mir nicht in Frage, da ich bisher auch ohne einen Motor meine Ketten regelmäßig (ca. 2000km) zerreiße ‘;..;’
14. Dezember 2017
Tu ich ja dann zwangsläufig 🙂
Routinemäßig würde ich bei so 2500km tauschen. Bis dahin sollte die schon halten ohne das Risiko, tut sie aber nicht.