Die 1. Mobility Network Night fand am Eurobike-Donnerstag statt und versammelte nach Messeschluss eine Vielzahl an Fahrradexperten in einer schönen Location direkt am Main. Organisiert wurde das Event von drei Macherinnen, die auch stark mit der Fahrradbranche verwurzelt sind: Daniela Odesser (Dani O. Communications), Karla Sommer (Velokin) und Monika Fiedler-Proksch (fiedler concepts GmbH). Bis zum Beginn der Podiumsdiskussion hatten sich knapp 200 Gäste und Pressevertreter eingefunden, die sich nach einem langen Tag auf der Eurobike auch über kühle Getränke und einige Häppchen freuten.
Nachhaltigkeit als erstes Unternehmensziel?
Für die Podiumsdiskussion hatte man hochkarätige Gäste geladen. Hier fanden sich Patrick Ayad (Global Leader Mobility and Transportation, Hogan Lovells Wirtschaftskanzlei), Kristjan Maruste (Comodule Co-Gründer & Gründer & CEO Äike), Annalena Horsch (Managing Director, Coboc), Jonas Stolzke (Co-Gründer und CEO, my Boo GmbH) und Christopher Werner (Managing Partner, fp-Frank Partners) auf der Bühne ein, wo Daniela Odesser dann die Fragen stellte und die Diskussion führte. Moderiert wurde das Event von Nicola Hemshorn-Bouwen, Coach und Trainerin in Hamburg.
Nach der Vorstellung der einzelnen Speaker entwickelte sich die Diskussion. Die gestörte Lieferkette diente als Ansatz, um zu erkennen, dass in der Vergangenheit einiges falsch gelaufen ist. Immer mehr Firmen, darunter auch einige der anwesenden Diskussionsteilnehmer, wiesen auf die immer größer werdende Wichtigkeit hin, sein Business nachhaltig zu betreiben bzw. von Anfang an gleich so aufzuziehen.
Irgendwo seine Bauteile einzukaufen, ohne genau hinzuschauen, unter welchen Bedingungen diese erzeugt werden, kann sich bald kein Unternehmen mehr leisten. Hier werden auch gesetzliche Regelungen bald greifen und die Unternehmen zur Produktion in Ländern zwingen, wo die Vorgaben umgesetzt werden können. Oft angewandtes Greenwashing wird immer mehr durchschaut, auch von den Konsumenten.
Transparenz entlang der Lieferkette ist dabei der eine Punkt, worauf auch immer mehr Kunden achten. Zum anderen ist es auch eine starke Abhängigkeit von Lieferanten auf der ganzen Welt, die in diesen Tagen aufzeigt, was die unabwendbaren Folgen daraus sein können. Hier gilt es sich vorab Gedanken zu machen, welches die Konsequenzen sein könnten und dies bei der Erarbeitung seiner Lieferprozesse mit einzubeziehen.
Kristjan Maruste beispielsweise hat die Produktion seines neuen E-Rollers Äike T so geplant, dass er in kurzer Zeit zu seinem Zulieferer gelangen kann, um sich dort von den aktuellen Fortschritten oder Problemen selbst ein Bild machen zu können. Die Firmen liegen dabei in Estland oder zumindest in Europa, viele Bauteile stellt man auch gleich komplett selbst her. Kein Bauteil kommt aus China.
Die Ausrichtung auf nachhaltiges Wirtschaften ist bei Coboc schon immer grundlegend gewesen, wie Annalena Horsch mitteilt. Coboc habe schon immer so viel wie möglich inhouse entwickelt und produziert, was dem Unternehmen jetzt auch zugutekommt. Das im vergangenen Jahr vorgestellte „Coboc Circular Concept“ ist da nur ein konsequenter Schritt, um Nachhaltigkeit in den Unternehmenszielen zu vertiefen.
Nachhaltig ist die my Boo GmbH schon seit der Gründung unterwegs. Nicht nur, dass die Rahmen der Fahrräder und E-Bikes der Marke aus einem nachwachsenden Naturstoff hergestellt werden, auch die Arbeitsbedingungen in Ghana sind fair. Zudem unterstützt das Unternehmen rund um CEO Jonas Stolzke von Beginn an die Bevölkerung vor Ort, um die Bildung zu verbessern und den Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Konsens bestand darin, dass eine Produktion in Europa grundsätzlich möglich ist, auch hinsichtlich der Kosten. Nicht nur jetzt, angesichts horrender Lieferkosten und gebundenem Kapital in Fernost, sondern auch im Hinblick auf die Umsetzung auf nachhaltige Geschäftsprozesse. Diese sind hier in Europa wesentlich einfacher umzusetzen und einzuhalten, welches auch einen Kostenfaktor darstellt.
Die offene und sehr interessante Diskussionsrunde schloss Daniela Odesser dann mit dem Fazit ab, dass im Sinne unseres Planeten alle Beteiligten auf ein nachhaltiges Handeln umschwenken müssten, da ansonsten kein Business mehr sinnvoll betrieben werden könne.
Fahrradprofessor als Augenöffner
Im Anschluss hielt Prof. Dr. Marco te Brömmelstroet einen Vortrag, der im Verlauf für viel Erstaunen und Aha-Effekte beim Publikum sorgte. Die Frage, was das Reh auf der Straße durch Wald macht, beantworteten viele im Publikum falsch, wohl weil sie die Situation aus dem falschen Blickwinkel betrachteten.
Die Lösung hat viele überrascht und für Zustimmung gesorgt.
Erst nachdem der Mensch radikal in die Natur und in das Wesen gewachsener Strukturen eingegriffen hatte, sind überhaupt Probleme entstanden, die zuvor gar nicht existierten. Über die Definition eines „Normalbaums“ oder die Entfremdung des Lebensraums „Straße“, der nur auf den Zweck der Überbrückung der Distanz von A nach B reduziert wurde, ist die Lebensqualität über die Jahrzehnte massiv gesunken.
Auch futuristische Konzepte machen es nicht besser, sondern lenken eher vom eigentlichen Problem ab. Der Fahrradforscher führte das Publikum im weiteren Verlauf des Vortrags zur Einsicht, dass man den Blick auf die Dinge ändern sollte. Überregulierte Kreuzungen oder Straßen beseitigen das Problem nicht, sondern machen vieles schwerer. Die Wege in der Stadt sind nicht nur Verkehrsraum, sondern für alle Menschen da.
Daher sollten die Menschen die Stadt wieder als Lebensraum zurückgewinnen und zudem ihren eigenen Lebenswandel hinterfragen. Er selbst habe das getan, bei der Arbeit zurückgesteckt und mehr Zeit für sich und seine Kinder gewonnen. Zum Beispiel habe er so Zeit gehabt, Ukulele zu lernen, was er dann während des Vortrags auch bewiesen hat.
Ein sehr interessanter Vortrag, welchen man mit dem Lesen seines aktuellen Buches „Movement“ noch vertiefen sollte. Die meisten Anwesenden waren wohl froh, eine andere Sicht auf die Dinge bekommen zu haben. Wir jedenfalls hoffen, dass Prof. Dr. Marco te Brömmelstroet dies noch bei vielen anderen Menschen und vor allem Entscheidungsträgern gelingt!
Fazit
Mit der 1. Mobility Network Night hat das Team aus Daniela Odesser, Karla Sommer und Monika Fiedler-Proksch eine tolle Veranstaltung aus der Taufe gehoben, die hoffentlich noch viele Fortsetzungen findet. Das Zusammenkommen von Entscheidungsträgern und Experten der Fahrradbranche in lockerer Atmosphäre, gepaart mit erhellender Diskussionsrunde und überaus interessantem Vortrag, war für uns jedenfalls ein Highlight im Rahmen der diesjährigen Eurobike! Wir freuen uns schon auf die nächste Ausgabe.
Mehr zur nächsten Ausgabe auch unter www.mobility-networknight.com.
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