Die Jahresbilanz des ADFC zur Fahrradfreundlichkeit von Bundesverkehrsminister Wissing fällt kritisch aus. Echten Drive für die Verkehrswende sieht der ADFC ausschließlich in Städten und Regionen. Das Fahrradland, das Deutschland nach dem Willen der Bundesregierung bis 2030 werden soll, kommt aktuell nur kleinteilig, lokal und nur mit massivem zivilgesellschaftlichen Druck durch den ADFC und andere Initiativen voran. Der nötige Rückenwind des Bundes für den Radverkehr durch ein modernisiertes Straßenverkehrsrecht und ausreichende Fördermittel fehlt.
ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider sagt: „Wir wollen das Jahr nicht in Bitterkeit über die Bundespolitik beenden, sondern den Blick auf die Städte und Regionen richten – denn dort ist richtig Druck im Kessel. Wir sehen, wie die Themen Fahrrad und Lebensqualität im ganzen Land brodeln. Überall organisieren sich Bürgerinnen und Bürger in Radentscheiden, schreiben Petitionen für bessere Radwege, fordern Verkehrsberuhigung, mehr Ruhe, bessere Luft und mehr Platz für Begegnungen. Hunderte von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern fordern den Paradigmenwechsel im Verkehr. Doch das alles scheint spurlos an Minister Wissing vorbeizugehen. Sein veraltetes Straßenverkehrsgesetz ist der Hemmschuh des Wandels. Und seine Sparpolitik beim Fahrrad konterkariert den aufkeimenden Radwege-Bauboom in den Kommunen. 2023 muss besser werden, Herr Minister!“
Pop-up-Bikelanes und Platzumverteilung in Hamburg
In Hamburg sind mancherorts gute Beispiele zur Neuverteilung des Verkehrsraumes erkennbar. Die Stadt zeigt mit der Pop-up-Bikelane auf der bis dahin für Radfahrende extrem stressigen Reeperbahn, wie man mit Schnellbaumethoden zügig Ideen umsetzen und mit geringen Kosten auf vorhandener Infrastruktur gute Radverkehrsbedingungen schaffen kann.
Schneider: „Wir lieben den roten Radweg auf der Reeperbahn und die Fahrradstraße mit der anschließenden Protected Bikelane an der Alster. Wir wollen mehr davon. Bisher bleibt der fahrradfreundliche Umbau leider auch in Hamburg auf einzelne Straßenabschnitte beschränkt, sodass auch in der Hansestadt noch viele offene Baustellen für den Radverkehr bleiben.“
Radentscheid in Bayern
Das Bündnis „Radentscheid Bayern“ hat 2022 unter Führung des ADFC über 100.000 Unterschriften für ein bayerisches Fahrradgesetz, ein sicheres und komfortables Radwegenetz mit kreuzungsfreien Schnellverbindungen gesammelt – und damit die Voraussetzung für ein Volksbegehren im Jahr 2023 geschaffen. Damit will das Bündnis die Staatsregierung verpflichten, umweltfreundliche Mobilität zu ermöglichen.
Schneider: „Der Radentscheid in Bayern zeigt, dass es große Mehrheiten für den fahrradfreundlichen Umbau der Städte gibt. Die Menschen wollen mehr und häufiger Radfahren – und die Politik tut gut daran, diese Wünsche ernst zunehmen und die Alltagsradwegenetze zügig auszubauen.“
Superblocks geplant in Darmstadt und Leipzig
Sowohl Darmstadt als auch Leipzig planen, nach dem Modell der „Superblocks“ in Barcelona, Wohnviertel probeweise mit Hilfe von Durchfahrtsperren vom Autoverkehr zu entlasten und dadurch Platz für die Anwohner zum Schlendern und Radfahren zu schaffen. Der ADFC hatte das Konzept der Superblocks im Rahmen des internationalen Best-Practice-Projekts InnoRad in Deutschland bekannt gemacht.
Schneider: „Wer möchte nicht in so einem städtischen Quartier leben, wo man keinen Autolärm hört. Wir sind gespannt, ob wir zur Weltfahrradkonferenz Velo-City 2023 in Leipzig schon den ersten Superblock bestaunen können.“
Fahrradmodellquartier in Bremen
Im Bremer Stadtteil Alte Neustadt wurde – auch durch den ADFC getrieben – ein Netz von Fahrradstraßen zu Deutschlands erster Fahrradzone verbunden, in der Fahrräder überall Vorrang vor Autos haben. Abschnitte mit Kopfsteinpflaster wurden geglättet, Bürgersteige fahrradfreundlich abgesenkt. Zusätzliche Metallbügel erleichtern das Abstellen von Fahrrädern.
Schneider: „Bremen tut gut daran, sich auf seinen Lorbeeren als Fahrradstadt nicht auszuruhen, sondern den Radverkehr immer weiterzuentwickeln – und innovative Konzepte wie das Fahrradquartier voranzutreiben.“
Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW
Die vom ADFC NRW maßgeblich mit initiierte Volksinitiative “Aufbruch Fahrrad” mit mehr als 200.000 Unterschriften zeigte große Wirkung: Am 1. Januar 2023 trat das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW (FaNaG) in Kraft. Es war die erste Volksinitiative, der durch den Landtag einstimmig zugestimmt wurde.
Schneider: „Durch den unermüdlichen Einsatz des ADFC und tausender Radfahrer:innen und Zufußgehender ist NRW das erste Flächenland mit einem Mobilitätsgesetz. Auf dem Weg zu 25 Prozent Radverkehrsanteil hat sich das Land viele gute Ideen vorgenommen, nun muss es an die schnelle Umsetzung gehen.“
Schneller Ausbau scheitert an veraltetem Straßenverkehrsrecht
Zügig mit dem Auto voranzukommen, ist im aktuellen Straßenverkehrsgesetz (StVG) wichtiger als der Schutz von Menschen, ihrer Gesundheit oder der Klimaschutz. In der Praxis bedeutet das, dass beispielsweise geschützte Radfahrstreifen, Fahrradstraßen oder großflächiges Tempo 30 von Kommunen oftmals nicht umgesetzt werden können, weil dafür die Rechtsgrundlage fehlt. Mit einem reformierten Gesetz gäbe es in Deutschland mehr Radwege.
Der ADFC fordert daher eine verkehrswendetaugliche Reform des StVG und hat einen Gesetzesvorschlag unter dem Namen „Gute Straßen für alle“ vorgelegt. Die Reform des Straßenverkehrsrechts findet sich auch im Koalitionsvertrag und der ADFC wird sich auch 2023 für diese Reform vehement einsetzen.
Weitere Details unter: www.adfc.de.