Wir haben das Greyp G6.6 auf den Trails am Königsstuhl getestet. Ausgestattet mit vielen Extras und gut funktionierenden, allerdings weniger High-End Komponenten macht das E-Bike einen soliden ersten Eindruck. Aber kann die E-Enduro der Tochterfirma von Rimac Automobili mit den Erwartungen, die das schnellste Elektroauto der Welt mit sich bringt, mithalten?
Greyp G6.6 im Detail
Wenn man das Greyp etwas genauer betrachtet, stellt man fest, dass viel Wert auf Funktion gelegt wurde. Trotz schön geschwungenem Carbon Rahmen sieht das Bike allerdings etwas aus, als hätte man wichtige E-Bike Bestandteile wie den Motor, die Batterie und die Bedienelemente einfach an den Rahmen „drangeschraubt“.
Für die Bedienung und die Wartung ist das perfekt, weil sich beispielsweise die Batterie einfach abnehmen lässt und der Motor im Bedarfsfall leicht zu erreichen ist. Designtechnisch muss sich das neue Greyp E-MTB, wenn man nicht direkt auf diesen „Ingenieurslook“ steht, aber leider hinter anderen modernen E-Bikes wie dem Specialized Kenevo SL oder Forestal Siryon einreihen. Die vielen Kabel im Cockpitbereich helfen hier nicht unbedingt weiter.
Was die Geometrie angeht, wählt Greyp bei dem G6.6 einen eher unkonventionellen Weg. Entgegen allen Trends hat das Bike trotz Mullet-Setup ungewöhnlich lange Kettenstreben, einen kurzen Reach und einen sehr kurzen Radstand. Der Lenkwinkel ist mit angegebenen 65,7 Grad etwas steiler und der Sitzwinkel ist mit 72,3 Grad etwas flacher als von der Konkurrenz gewohnt – die Werte an sich liegen aber dennoch im Rahmen und sind vertretbar. Wie diese spezielle Geometrie sich auf dem Trail anfühlt, könnt ihr weiter unten lesen.
Antrieb, Batterie und Extras
Angetrieben wird das G6.6 vom eher gering verbreiteten MPF 6.0C Motor, der mit Features wie einem komplett im Ölbad laufenden Metallgetriebe und voll gekapseltem Motorgehäuse aufwartet. Dieser erhält seine Energie von der seitens Greyp selbst entwickelten 700 Wh fassenden Batterie, die als Designelement mitten im Rahmen sitzt und dabei leider keinen Platz für eine Trinkflasche lässt. Eine zweite Batterie gibt es als Reichweiten-Verlängerer optional für 799 Euro dazu.
An weiteren Extras fehlt es dem Greyp nicht. Es ist ausgestattet mit WLAN, Bluetooth, einer 3G SIM-Karte von T-Mobile und einem USB-Typ-C Anschluss. Auch ist ein GPS verbaut, ein Barometer, ein Gyrosensor und Beschleunigungssensor um Neigungen und Beschleunigung auf drei Achsen zu messen. Außerdem montiert Greyp jeweils am Vorbau und am Sattel eine 1080p 30 FPS Kamera, dazu sind auch Front- und Rücklicht verbaut.
Weiter liegt dem Bike ein Armband zu Herzfrequenzmessung bei, welches sich mit dem Bike oder der Greyp-App auf dem Smartphone des Nutzers verbinden kann. Über die App lassen sich alle Daten über das Bike und die Tour, die man gerade fährt, einsehen und über die Karte auch Touren planen, die dann mit dem Handy auf der integrierten Handyhalterung am Vorbau gut abzufahren sind.
Fahrwerk und Ausstattung
Das von uns getestete Greyp G6.6 kommt mit 160 mm Federweg vorne und 150 mm im Rahmen. Die Gabel ist eine selten gesehene Formula Selva S und der Dämpfer der bekannte Rock Shox Monarch RT3. Gebremst wird mit 203 mm Bremsscheiben und den Formula Cura 4 die mit elektrischen Bremssensoren bestückt sind, um das Bremslicht zu aktivieren. Die Schaltgruppe besteht aus GX Eagle 12-Fach Schalthebel und Schaltwerk, die man mit einer Sram NX Kette kombiniert.
Vollendet wird das Cockpit mit einem Spank Spike Vibrocore 800 mm Lenker an dem Spank Spoon Griffe verbaut sind. Mit dem Vibrocore System sollte es auch auf längeren Abfahrten zu wenig Problemen mit Armpump und früher Ermüdung kommen. Der Vorbau des Greyp ist selbst konfektioniert und sitzt über dem FSA Gravity SX pro Headset. Aus dem eigenen Regal sind auch die Pedale und Kurbeln.
Bei den Laufrädern setzten die Macher auf die E-Fire 500 von Fulcrum und für Grip sorgen Schwalbes Eddy Current Front und Rear. Eine hydraulische Sattelstütze ist auch an Bord, konkret die KS Shock LEV-DX. Diese stellt je nach Rahmengröße zwischen 100 und 150 mm an Verstellweg zur Verfügung. Bei unserem Testbike in Größe M waren es 125 mm, die knapp gereicht haben. 100 mm bei Größe S könnten aber etwas kurz sein.
Auf dem Trail
Schon beim ersten Anblick fiel direkt die außergewöhnliche Geometrie des Top-Modells von Greyp ins Auge. Durch den kurzen Radstand, den kurzen Reach und die hohe Lenker/Vorbau-Kombi fühlt sich das G6.6 beim ersten Probesitzen im Vergleich etwas ungewohnt an und erinnerte vom Gefühl leicht an ein gemütliches City-Bike. Sobald man sich in Abfahrtsposition bringt, merkt man diesen Unterschied gefühlt noch stärker.
Anstatt in der Grundposition so schon das Gefühl zu haben, den Trail voll attackieren zu können, steht man anfangs ziemlich aufrecht und ungewohnt. Dazu muss man vielleicht als Erklärung mitteilen, dass wir ein Modell in Größe M zum Testen hatten und unser Testfahrer mit 1,78 m direkt an der Grenze zur Größe L kratzte. Dadurch fällt das ganze Bike im Verhältnis etwas kurz aus, sollte sich dafür aber in engen Kurven eher verspielt fahren lassen.
Und das war beim Fahren teilweise auch der Fall. Durch ausgebaute Anliegerkurven und loamige Ruts ging das Greyp gut kontrollierbar, vermittelte aber nicht ganz das Gefühl von Sicherheit, wie dies z.B. ein Scor 4060 Z LT oder ein Specialized Kenevo SL geben kann. Auf flowigen Strecken macht das Bike der Kroaten dafür ziemlich Spaß, es fährt sich leicht verspielt und dadurch, dass man anders im Bike steht als bei der Konkurrenz, kommt auch gleich ein anderes Fahrerlebnis auf.
Ebenso war auch der hohe Schwerpunkt des E-Bikes zu spüren, der vermutlich durch die hoch gelegene Batterie kommt. Auf Strecken, bei denen schnelle Richtungswechsel nötig waren, brauchte es etwas mehr Kraft, um das Bike unter sich von der einen zur anderen Seite zu neigen. Nach etwas Gewöhnungszeit auf dem Bike war aber auch dies gut abzuschätzen und nur noch im direkten Vergleich zu anderen Bikes bemerkbar.
Sobald es anspruchsvoller wurde, kam man mit dem Greyp leider schnell an seine Grenzen. In High-Speed Sektionen mit vielen Wurzeln und Steinen konnte das Bike durch ein gefühlt hohes Tretlager, dem zu kurzen Reach und den daraus resultierenden aufrechten Stand nicht die Sicherheit bringen, die man von anderen E-Bikes dieser Federwegsklasse kennt. Das typische E-Bike „point-and-shoot-Feeling“ war zwar noch etwas zu spüren, aber ein Gefühl, dass man rein durch Einhalten seiner Linie auch durch Wurzelfelder problemlos durchkommt, konnte das G6.6 durch ein schnelles unruhig werden nicht ausstrahlen.
Auch wenn es steil und verblockt wurde, zeigte sich Ähnliches. Das E-MTB von Greyp fühlte sich auch hier unruhiger und weniger sicher an, als man es von anderen Modellen gewohnt ist. Übertrieben gesagt stellte es sich ähnlich dar, als käme man mit einem Bike, das eigentlich für etwas Anderes entwickelt wurde, in entsprechend falsches Terrain.
Der Motor von MPFdrive hat nominal zwar ein Drehmoment von 90 Nm und soll beim Offroad-Modell sogar bis zu 45 km/h beschleunigen können. In unserem Test gab er bei steileren Uphills aber leider nicht genug Power ab, um alles mit Leichtigkeit meistern zu können. Das Anfahren an steilen Stücken ist nur mit viel eigenem Kraftaufwand möglich.
Dafür funktioniert die Geometrie zum Hochfahren erstaunlich gut, denn durch die langen Kettenstreben kommt das Vorderrad nur selten hoch, wodurch auch ein Kippen nach hinten kein Problem ist. Auf normalen Forstwegen fährt sich das Bike durch die komfortable Geometrie und den hohen Lenker sehr gemütlich und auch der Motor unterstützt gut. Nur könnte er in steileren Abschnitten aber durchaus mehr Unterstützung geben.
- sauber verarbeiteter Carbonrahmen
- nominal starkes Antriebssystem
- großer Akku
- gut zusammengestellte Komponenten
- einzigartige Konnektivität und Future-Technologie
- gut im Blickfeld liegendes Cockpit
- smartes Armband beiliegend
- gut zugängliche Antriebskomponenten
- komfortable Sitzhaltung
- gedrungene Geometrie
- hoher Schwerpunkt
- sehr viele Kabel an der Front
- Motorabstimmung am Berg etwas schwach
Greyp G6.6 2022
Motor: MPF 6.0c custom firmware, 250 W, 90 Nm
Batterie: Greyp custom, 700 Wh
Display: TFT 3″, 240×400, transflective
Rahmen: Greyp G6, full T700 carbon, 150 mm
Gabel: Formula Selva S, 160 mm
Dämpfer: Rock Shox Monarch RT3
Schaltung: Sram GX Eagle, 1×12
Bremsen: Formula Cura 4, 203 mm v/h
Kurbelgarnitur: Greyp custom Alloy, 165 mm
Vorbau: Greyp custom 50mm with integrated CIM
Sattelstütze: KS SHOCK – LEV-DX, S 100 mm / M 125 mm / L 150 mm
Sattel: Fi”zi:k Ponente F200
Laufräder: Fulcrum E-Fire 500
Reifen: Schwalbe Eddy Current, ADDIX Soft, Evolution Line
Gewicht: 26,4 kg
zul. Gesamtgewicht: n/a
Preis: 8.199 EUR
Transparenzhinweis: Das Greyp G6.6 wurde uns seitens der Greyp Bikes d.o.o. für den Testzeitraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf das Testergebnis und unsere Meinung hatte dies keinen Einfluss.
Unser Fazit | Greyp G6.6 – E-MTB der nächsten Generation im Praxistest
Connectivity-Bolide
Das Greyp G6.6 ist ein E-MTB mit viel Potenzial. Vor allem die verbauten Extras hinsichtlich der Konnektivität, sind bisher so bei keinem anderen Bike zu finden und stellen somit ein starkes Alleinstellungsmerkmal dar, welches das Top-Modell der Kroaten auf jeden Fall zu etwas Besonderem macht.
An der Auslegung des Rahmens und der Antriebstechnologie sollte aber noch ein bisschen gefeilt werden. Mit modernerer Geometrie, also längerem Reach und kürzeren Kettenstreben wäre das Bike wahrscheinlich eine echte Ballermaschine und durch einen anderen Motortune mit besserer Unterstützung, könnte das Bike auch am Berg einen deutlich besseren Eindruck hinterlassen.
Wer mit dem E-MTB mehr Touren fährt und daher dem Komfort einen größeren Stellenwert zuschreibt, könnte mit den E-Mountainbikes der Marke dennoch glücklich werden. Zum einen bieten die Modelle eine Fülle an modernster Technologie und Vernetzung, die bei den meisten anderen Marken nicht für Geld und gute Worte zu haben ist. Zum anderen dürfte die Performance auf dem Trail für das Gros der Nutzer durchaus ausreichend sein.
Greyp Bikes hat mittlerweile nicht nur Rimac Automobili, sondern auch Porsche im Rücken. Somit steht der Marke für die Weiterentwicklung wohl ein riesiges Budget und zudem auch damit verbundenes Fachwissen zu Verfügung. Demzufolge wird Greyp in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch für einiges an Furore sorgen.