Mit dem Giant Reign E+ 2022 hat der taiwanische Hersteller im vergangenen Hochsommer die neueste Version seiner E-Enduro vorgestellt. Die Baureihe wurde komplett neu entwickelt und bringt auch den neuen SyncDrive Pro 2 Antrieb mit, der auf dem Yamaha PW-X3 Antrieb basiert. Wie sich das Modell bei uns im Test geschlagen hat, stellen wir in diesem Artikel in allen Details vor.
Giant Reign E+ 2022 im Überblick
Schon die erste Reign E+ E-Enduro war auf dem Papier ein überaus potentes Modell, verlangte aber nach einer starken Hand und reichlich Erfahrung, wenn es denn schnell bergab gehen sollte. Bei der neuen Variante hat sich Fahrradriese Giant den zahlreichen Kritikpunkten des Vorgängermodells angenommen und viele Verbesserungen einfließen lassen, darunter auch eine Umstellung auf eine Mullet-Konfiguration.
Im Grunde wurde das Modell komplett neu entwickelt und hat mit dem Vorgänger so gut wie nur noch den Maestro-Hinterbau gemeinsam. Allein schon die optisch viel vorteilhaftere Integration des auf dem Yamaha PW-X3 basierenden SyncDrive Pro 2-Antriebs im ALUXX SL-Rahmen lässt das Modell auf den ersten Blick deutlich besser aussehen und macht dieses schon im Stand zum regelrechten Hingucker.
Der neue Antrieb ist dabei nicht nur leichter geworden, sondern auch kompakter und lässt sich damit besser als je zuvor integrieren. Trotzdem gibt er die derzeit gängigen 85 Newtonmeter ab, stellt 400 % Unterstützung zur Verfügung und soll dabei hinsichtlich der Geräuschentwicklung sehr zurückhaltend agieren. Die größere Bodenfreiheit von 37 mm im Vergleich zum Vorgängermodell und der schmalere Q-Faktor kommen dem Nutzer weiter in Sachen natürliches Fahrgefühl entgegen.
Die neuen Bedienelemente RideControl Ergo 3 stechen hinsichtlich einfachster und gleichzeitig zurückhaltender Bedienung hervor und zeigen kaum sichtbar am Lenker, wobei sie trotzdem eine leichte und intuitive Auswahl der gewünschten Unterstützungsstufe ermöglichen. Wie gehabt stehen dem Nutzer hier die manuellen Stufen Power, Sport, Active, Basic oder Eco zur Verfügung, alternativ kann auch die Smart Assist-Technologie von Yamaha jeweils für die passende Unterstützung aufgrund der aktuellen Fahrsituation sorgen.
Im Oberrohr ist die RideControl GO Einheit eingelassen, die ein einfaches Einschalten des Antriebssystems ermöglicht und zudem den aktuellen Akkustand und die ausgewählte Unterstützungsstufe auf einen Blick anzeigt. Über diese kann man sich noch per Smartphone mit dem System verbinden und diverse Einstellungen vornehmen, darunter zum Beispiel auch die Tastenbelegung für die neue RideControl Ergo 3 Einheit ändern.
Mittels großem EnergyPak 750 Akku steht dem Fahre eigentlich mehr als genug Energie auch für zahlreiche Runden zur Verfügung. Wem dies trotzdem zu wenig ist, kann per EnergyPak Plus nochmals 250 Wh ins System einbringen und greift dann auf üppige 1.000 Wh zurück. Per Giant Smart Charger (max. 6A Ladestrom) sind die beiden Akkus auch in kürzerer Zeit wieder aufgeladen und die wilde Fahrt kann weiter gehen.
Das von uns getestete Reign E+ 1 ist mit einer Fox 38 Performance Elite Federgabel mit 170 mm ausgestattet, während der Fox Float X2 ebenfalls in der Perfomance Elite Ausführung dann mit dem Maestro Hinterbau zusammenarbeitet.
Gegenüber dem Top-Modell muss der Nutzer hier nicht auf die Grip2-Dämpferkartusche verzichten, wohl aber auf die Kashima-Beschichtung, was aber unserer Ansicht nach gut zu verschmerzen ist. Neu ist die Möglichkeit, die Geometrie per Flip-Chip an die jeweiligen Anforderungen anzupassen.
Dem starken Antrieb schaltet Giant hier eine 12-fach Schaltung nach, die aus Shimano XT- und SLX-Komponenten zusammengestellt wurde. Die Bremsanlage entstammt der Deore XT-Serie von Shimano und haben während unseres Tests kaum Wünsche aufkommen lasen. Natürlich wäre eine größere, vordere Bremsscheibe gerade bei einer E-Enduro keineswegs verkehrt.
Ebenfalls wünschenswert wäre eine Sattelstütze mit mehr Hub, denn trotz ausreichender Einstecktiefe im Rahmen verbaut Giant nur eine Stütze mit 150 mm Verstellweg, was dann den Freiraum im Downhill dann unnötig verringert. Exzellent hat sich der Giant Romero Sattel gezeigt, welcher mit seinen speziellen Features für ein gute Dämpfung und ein angenehmes Sitzgefühl gesorgt hat.
Ebenfalls keinen Grund zur Klage hat uns die Reifenauswahl gegeben, welche aus bewährtem Maxxis DHF mit 2,6″ Breite und EXO+ Karkasse vorne und dem Maxxis High Roller II mit 2,5″ Breite und stabiler DD-Karkasse daherkam. Diese waren auf den hauseigenen Felgen von Giant montiert.
In der Praxis
Schon auf dem Papier unterscheiden sich die Geometriedaten des Reign E+ 2020 und 2022 deutlich. Bei uns keimte Hoffnung auf, dass das stoische Fahrgefühl, welches eine kundige Hand erforderte, beim neuen Modell nicht mehr vorhanden ist. So waren wir gespannt auf die erste Abfahrt!
Bereits beim ersten Aufsitzen fühlte sich das Bike so viel besser an und man empfand sich zentral im Bike positioniert. Die Front wirkt durch das große 29er-Laufrad trotzdem Giant-typisch eher niedrig, aber ging dabei eher in die neutrale Richtung. Man musste nichts an den Spacern unter dem Vorbau verändern, um sich gut integriert zu fühlen und hatte gleichzeitig den Eindruck, dass auch die Gewichtsverteilung ausgeglichen war.
Uphill
Klar ist, dass das Reign E+ 1 auf Abfahrten getrimmt ist und niemals so klettern kann, wie man es von einem E-Trailbike oder auch E-AllMountain vielleicht gewohnt ist. Trotzdem sitzt man auch in der Low-Einstellung des Flip-Chips auch genug vor dem Hinterrad, dass die Front nicht bei der kleinsten Gelegenheit aufsteigt und kann so auch längere Anstiege gut bewältigen.
Wer auch schwierige Uphill-Passagen problemlos bewältigen möchte, kann das Bike auf High-Position umstellen und profitiert dann von einem minimal höheren Tretlager und einer etwas frontlastigeren Positionierung im Bike. Die Kettenstreben hat Giant rund 16 mm kürzer ausfallen lassen, so dass sie sich im Rahmen vergleichbarer E-Enduros bewegen und sich nicht mehr als extrem lang darstellen.
Eine große Verbesserung stellt der SyncDrive Pro 2-Antrieb dar, der mit einer angenehmen Abstimmung aufwartet und einen jederzeit mit der notwendigen Unterstützung versorgt. Der Wechsel über die RideControl Ergo 3 gelingt blind, einzig bei der Nutzung der Schiebehilfe rutscht man im Eifer des Gefechts manchmal von den etwas schmalen Tasten ab.
Gefallen hat uns auch die RideControl GO Einheit, die wir schon in mehreren Testbikes von Giant hatten und die den perfekten Mix aus Minimalismus und Informationsgehalt liefert. In Sachen Bedienung bringt das Reign E+ 1 genau das mit, was man benötigt, nicht mehr und nicht weniger und stellt sich mit seinem aufgeräumten Cockpit fast wie ein konventionelles MTB dar.
Downhill
Bei der Abfahrt merkt man dem Reign E+ 1 an, dass es trotz aller Änderungen immer noch mit seinem Vorgänger verwandt ist. So strahlt es bergab eine hohe Laufruhe aus und steckt auch harte Schläge problemlos weg, so wie man es von einer potenten E-Enduro auch erwarten kann.
So sucht sich der Fahrer am besten seine Linie aus und hält dann einfach rein: Das Giant Reign E+ 1 erledigt dann klaglos den Rest. Fährt man schneller, wird die Performance noch besser und man fliegt regelrecht über Bremswellen, Stein- und Wurzelfelder hinweg. Man kann den Auftritt des Reign E+ weiter verbessern, wenn man die Low-Position des Fahrwerks einstellt, was eine Tretlagerabsenkung von 10 mm und einen um 0,8° flacheren Lenkwinkel gegenüber der hohen Position.
Blieb man mit dem 2021er-Modell aufgrund der Integration der größeren Motoreinheit des Öfteren an Absätzen, Steinen oder Wurzeln hängen, so ist das mit dem neuen Rahmen und dessen in dieser Hinsicht verbesserter Motoraufnahme nun kein Problem mehr. Auch das eher straffe Setup trägt hierzu bei, welches zudem ein direktes Fahrverhalten unterstützt.
Natürlich kann das Reign E+ 1 bei langsameren, technischeren Passagen sein hohes Gewicht von um die 25 Kilogramm nicht verhehlen. Hier ist die Performance zwar nicht unbedingt schlechter, allerdings erfordert etwas mehr Kraftaufwand, um die E-Enduro auf der gewünschten Linie zu halten.
Freunde gepflegter Sprünge müssen sich darauf einstellen, dass man für eine gute Airtime etwas härter abziehen muss. Wer dies meistert, kann sich über ein ruhig in der Luft stehendes E-MTB freuen, welches auch ein Querlegen willig mitmacht und so auch für Spaß auf der Jumpline sorgen kann.
Aber auch ohne Sprünge kommt man gut auf seine Kosten, denn im Gegensatz zum Vorgängermodell lässt sich das Giant Reign E+ 1 mit Leichtigkeit in Anliegerkurven und Ruts drücken. Dabei ist der Radius derselben nahezu egal und es macht Spaß, das Bike in die Kurve zu lehnen, so dass man sich fast wie beim Carven auf Skiern fühlt. Wir schreiben dieses Verhalten vor allem den verkürzten Kettenstreben zu, wobei auch die anderen Geometrieänderungen hier wohl Einfluss hatten.
- stabiler Rahmen
- starker Antrieb
- große Batterie (möglich)
- praxisgerechte Federelemente
- durchdachte Ausstattung
- aufgeräumtes Cockpit
- harmonisches Design
- hohe Zuladung
- Preis-Leistungs-Verhältnis
- Sattelstütze mit zu wenig Hub
- etwas schwerer
Giant Reign E+1 2022
Motor: SyncDrive Pro2, 250 W, 85 Nm
Batterie: EnergyPak 750, 750 Wh
Display: RideControl GO + RideControl Ergo 3 – SG
Rahmen: ALUXX SL, 160 mm
Gabel: Fox 38 Performance Elite, 170 mm
Dämpfer: Fox Float X2 Performance Elite
Schaltung: Shimano Deore XT, 1×12
Bremsen: Shimano Deore XT (4-Kolben), 203 mm v/h
Laufräder: 29″ / 27,5″ v/h
Reifen: Maxxis
Gewicht: n/a
zul. Gesamtgewicht: n/a
Preis: 6.499 EUR
Transparenzhinweis: Das Reign E+ 1wurde uns seitens der Giant Deutschland GmbH für den Testzeitraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf das Testergebnis und unsere Meinung hatte dies keinen Einfluss.
Unser Fazit | Giant Reign E+ 1 2022 – potente E-Enduro im ausgiebigen Praxistest
Ausgereifte Ballermaschine
Mit dem neuen Reign E+ 1 hat Giant nahezu alles richtig gemacht. Angefangen vom neuen Antrieb, der sich nun harmonisch in den neuen Rahmen integrieren lässt, ohne auf ein Mehr an Power und Ausdauer verzichten zu müssen, bis hin zur Umstellung auf Mullet-Konfiguration, die dem Modell merklich gutgetan hat.
Auch mit dem minimalistischen Cockpit hebt sich das Modell wohltuend vom Vorgänger und auch den Wettbewerbern ab, genauso wie mit dem hohen zulässigen Gesamtgewicht von 156 kg. Einziger Wermutstropfen bleibt die Auswahl der hauseigenen Sattelstütze, die für beste Beweglichkeit im Downhill einfach etwas mehr Hub mitbringen sollte.
Im Großen und Ganzen geht das Paket für den engagierten Downhill-Fahrer aber absolut in Ordnung und bekommt von uns das Urteil “Sehr empfehlenswert!”.