Die Fahrradbranche ist, wie viele andere auch, männerdominiert. Doch die Situation ist im Wandel. Immer mehr Frauen kommen in die Branche. Bedeutende Unternehmen werden von Frauen geleitet. Kann die Fahrradbranche zum Vorreiter eines gesellschaftlichen Wandels werden? Eine prominent besetzte Gesprächsrunde des pressedienst-fahrrads anlässlich des heutigen Weltfrauentags mit Dr. Antje von Dewitz (Vaude), Hanna Grau (Croozer), Eva Ullrich (Brevet Beratung) und Dr. Sandra Wolf (Riese & Müller) liefert Antworten.
Die Vereinten Nationen stellen den Weltfrauentag 2021 unter das Motto „Frauen in Führungspositionen“. Als Antje von Dewitz 2009 die Geschäftsleitung des Outdoor- und Radbekleidungsherstellers Vaude von ihrem Vater übernahm, waren noch kaum Frauen in der Unternehmensführung. Mittlerweile liegt der Frauenanteil in Führungspositionen bei Vaude bei 43 Prozent. Die Unternehmerin hat dafür grundlegende Änderungen vorgenommen, u. a. flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert, ein eigenes Kinderhaus gebaut und flachere Hierarchien durchgesetzt.
„Ich nehme nicht einen mangelnden Willen von Frauen wahr, Führungsrollen zu übernehmen, sondern einen fehlenden Zugang“, fasst von Dewitz die Gründe für diese tiefgreifenden Maßnahmen zusammen. Deshalb sei es wichtig, die Grundlagen für Diversität in Unternehmen zu schaffen und dabei auch die Probleme der Mitarbeiterinnen zu hören und zu analysieren, um Lösungen zu erarbeiten. „Viele Unternehmen sind immer noch klassisch ausgerichtet auf den einen Ernährer in der Familie. Es braucht eine Transformation“, sagt von Dewitz.
Teilzeitarbeit ist kein Stigma
Wie diese Transformation für Führungskräfte aussehen könnte, erlebt Hanna Grau vom Anhängerspezialisten Croozer gerade selbst. Die Geschäftsführerin wurde im August Mutter. Sie arbeitet aktuell 65 Prozent und teilt sich dabei mit ihrem Mann die Erziehung und die Unternehmensführung. „Teilzeit arbeiten bedeutet für viele noch immer: Kann keine Führung übernehmen. Diesem Vorurteil muss man entgegensteuern“, so Grau.
Dabei helfen könnte beispielsweise eine Frauenquote für Führungskräfte, findet Sandra Wolf, Geschäftsführerin beim E‑Bike-Spezialisten Riese & Müller: „Es geht nicht darum, zu gängeln, sondern es geht darum, für mehr Sichtbarkeit zu sorgen.“ Auch Antje von Dewitz spricht sich für die Quote aus, obwohl sie gerne kreativere Instrumente fördern würde. „Die Kinderquote unserer Mitarbeiter:innen ist viermal höher als der Durchschnitt. Das ist anstrengend für ein Unternehmen. Ich fände es gut, wenn Unternehmen mit hohen Kinderzahlen gefördert werden“, so von Dewitz.
Frauen bringen Mut für andere Themen mit
Jedoch dürften Frauen nicht nur auf die Mutterrolle und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduziert werden, darin sind sich die Geschäftsführerinnen einig. „Frauen sind unabhängig vom Familienstatus ein ganz wichtiger Aspekt für ein Unternehmen“, bestätigt Sandra Wolf.
Sie würden Dinge ganzheitlicher und selbstkritischer betrachten und so auch neue Themen für ein Unternehmen erarbeiten. „Frauen denken anders und bringen neue Ideen und Perspektiven in ein Unternehmen ein. Mehr Frauen in Führungspositionen machen es leichter, andere Themen aufzugreifen. Außerdem ist die Stimmung in gemischten Teams besser“, bekräftigt von Dewitz.
Berufsfelder attraktiver machen
Die Fahrradbranche kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen, findet auch Eva Ullrich von der Beratungsagentur Brevet. Dazu brauche es einerseits Vorbilder und andererseits mehr Sichtbarkeit von Jobmöglichkeiten. „Viele Frauen, auch ich, wissen nicht, welche Berufe es in der Fahrradbranche gibt. Sie verbinden Fahrradjob mit Zweiradmechaniker. Dabei gibt es noch viele andere interessante Möglichkeiten“, so Ullrich.
Speziell bei Themen wie Nachhaltigkeit und Zukunft der Mobilität brächten Frauen viele neue Ideen mit, bekräftigen Antje von Dewitz und Sandra Wolf. „Die Branche ist sehr interessant, mit guter Zukunft und, wie man aktuell sieht, krisenfest“, sagt Wolf. Die Kombination mit anderen Themen steigere das Interesse nochmals deutlich. „Wir haben beispielsweise bei einer Projektwoche für Schulen die Themen Fahrrad und Umwelt verknüpft“, erzählt Wolf. Das habe mehr junge Frauen als Männer angesprochen.
Bei Riese & Müller arbeiten Frauen beispielsweise als Ingenieurinnen oder Außendienstlerinnen, was branchenweit noch eine Seltenheit ist. Gerade der Vertriebsbereich ist immer noch eine Männerdomäne. „Vertrieb und das Pflegen von Kontakten ist eigentlich eine Stärke von Frauen“, meint Hanna Grau, die selbst nach einem Medizinstudium als Quereinsteigerin in die Fahrradbranche kam. Aber das gängige Provisionsmodell würde viele Frauen noch abschrecken, hier eine berufliche Chance zu ergreifen. „Dabei ist die Fahrradbranche sehr sympathisch und auch viele Frauen fahren Fahrrad oder betreiben Radsport“, so Grau. Aber: Sexismus ist auch hier spürbar. Sandra Wolf berichtet, dass sie sich als Rennradfahrerin unwohl fühlt, da sie „oft blöd angemacht“ werde. Mittlerweile fahre sie lieber abseits der Straße. „Im dunklen Wald fühle ich mich wohler.“
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