Wechsel von Peterhansel zu Al-Attiyah. Du scheinst der begehrteste Copilot zu sein.
„Audi hatte ein dreijähriges Projekt, das im Januar zu Ende gegangen ist, und Stéphane hat entschieden, sich vom Wettkampfgeschehen zurückzuziehen. Somit war ich wieder zu haben. Ich habe einige Angebote erhalten, doch das von Al-Attiyah kam unerwartet: Er ist bisher mit einem Copiloten gefahren, mit dem er alles gewonnen hat. Zusammen haben sie eine großartige Geschichte geschrieben. Sie haben allerdings beschlossen, getrennte Wege zu gehen, und da hat mein Telefon geklingelt…“
…als du das Ergebnis der Dakar noch nicht ganz verdaut hattest.
„Stéphane und ich hatten im Jahr 2021 gewonnen und hart an der Entwicklung dieses Autos gearbeitet. Wir hatten hohe Erwartungen. Doch am sechsten Tag hat uns ein nicht reparierbarer Defekt an der Hydraulik zweieinhalb Stunden gekostet und uns alle Hoffnungen auf eine gute Platzierung genommen. Wir hatten alle Trümpfe in der Hand, um mit Audi das gesamte Podium zu belegen, doch von da an haben wir als Wasserträger gearbeitet. Es hat sich gelohnt: Carlos Sainz hat auch dank unserer Hilfe gewonnen, somit alles ist gut. Doch etwas Enttäuschung und ein bitterer Nachgeschmack ist geblieben. Zuhause zurückgekehrt bin ich zwei Wochen lang Fahrrad gefahren und bin jetzt bereit. Es kann losgehen.“
Einen Moment – “Fahrrad gefahren”?
„Ja. Das Fahrrad ist meine Leidenschaft und eines meiner wichtigsten Trainingsgeräte. Der Radsport begleitet mich seit meiner Kindheit. Seit ich dank meiner jüngsten Freundschaft zu Stefano Migliorini, dem Geschäftsführer von Thok, das Elektrofahrrad entdeckt habe … bin ich wieder zum Kind geworden. Ich bin zwischen Wiesen und Wäldern aufgewachsen und habe meine Kindheit und Jugend damit verbracht, diese mit dem Fahrrad zu durchqueren. Seitdem ich in die Schweizer Alpen gezogen bin, habe ich im E-Mountainbike das perfekte Hybrid für meine zwei großen Leidenschaften gefunden: das Mountainbiken und das Enduro-Motorradfahren, was hier undenkbar und praktisch verboten ist.“
Neben dem Drang zu gewinnen verbindet dich aber noch etwas mit Al-Attiyah: die Vielseitigkeit.
„Nasser ist nicht nur der erfolgreichste Rallye-Fahrer der letzten zehn Jahre. Er hat an fünf Olympischen Spielen im Wurfscheibenschießen teilgenommen und bereitet sich gerade auf seine sechste Olympiade vor. Er ist eine sehr bescheidene Person, aber an vielen Fronten aktiv. Wir werden uns nicht langweilen.“
Und du?
„Das Mountainbiken war mein erster Sport. Dann habe ich mit dem Rudern begonnen und fünf französische Titel und zwei Junioren-Weltmeisterschaften gewonnen. Danach war der Offroad-Motorsport dran: Ich bin dreizehnmal die Enduropale du Touquet, bei der 1000 Teilnehmer an der Startlinie stehen, und einige der wichtigsten Rallyes gefahren: die Pharaonen-Rallye und die Rallyes in Tunesien und Marokko. Seit 2015 arbeite ich als Copilot. Seit zwei Jahren bin ich Botschafter für die E-Mountainbikes von THOK E-Bikes.“
Irre ich mich oder hast du den Triathlon vergessen?
„Stimmt. In meiner Freizeit habe ich mich auch dem Triathlon gewidmet und später dem Ironman: Ich hatte mich sogar für die Weltmeisterschaften 2018 qualifiziert, doch aus Kostengründen nicht daran teilgenommen. Ich nutze es immer noch zum Trainieren, denn es ist eine Methode, mich in Form zu halten, die ich schätze. Es ist jedoch schwierig für mich an Meisterschaften teilzunehmen, denn sie sind schon mehrere Monate zuvor ausgebucht und meine Arbeit macht es mir schwer, im Voraus zu planen. Seit kurzem bin ich zum Xterra, Offroad-Triathlon, Trailrunning und Mountainbike umgestiegen: Es macht großen Spaß!“
Du hast Mountainbike gesagt – damit schließt sich der Kreis.
„Dort, wo ich wohne, ist Mountainbiken besonders anspruchsvoll: Es ist eine Berglandschaft mit großen Höhenunterschieden. Zudem muss ich beim Trainieren die Herzfrequenz unter Kontrolle halten und große Strecken zurücklegen. Mein gesamtes Cardio- und Kraft-Training absolviere ich mit einem E-Mountainbike, mit dem ich gezielt trainieren kann. Mit einem mit Muskelkraft angetriebenen Fahrrad ist man ans Gelände gebunden, das man vorfindet, und kontrolliert nicht die Herzfrequenz. Mit dem elektrisch angetriebenen Fahrrad kann dagegen man die Anstrengung dosieren und gezielt trainieren.“
Du bist einer der bekanntesten Navigatoren: Euer Sieg bei der Rallye-Dakar ist zu einem guten Teil auch deinen Entscheidungen zu verdanken. Erzähle uns etwas über deine Rolle.
„Die Navigation ist oft entscheidend. Aber es ist eine undankbare Rolle: Wenn du gewinnst, gewinnst du niemals dank des Navigators; verlierst du dagegen, ist es oft seine Schuld. Ein einziger Navigationsfehler reicht aus, um alle Fahrfehler vergessen zu machen, und er kann eine gesamte Rallye kosten. Die Wahrheit ist, dass der Navigator eine Rallye verlieren kann – gewinnen wird er sie aber nie.“
Denkt man an einen Copiloten, stellt man sich alles andere vor als einen Athleten. Und doch…
„… und doch ist dafür maximale körperliche und mentale Vorbereitung erforderlich. Wir sind enormen Beschleunigungen mit Extremwerten bis zu über 15G ausgesetzt; in manchen Augenblicken sind wir sowas wie eine Flipperkugel. Um die unwegsamen Rennstrecken, die über 10 Stunden am Tag dauern und bei denen Temperaturen von über 40 Grad Celsius herrschen, sitzend mit aufgesetztem Sturzhelm und in einem feuerfesten Overall zu überstehen, braucht man einen gut durchtrainierten Körper. Du musst auf jedes Ereignis reagieren, absolut ruhig bleiben und den Fahrer auf Kurs halten. Dein Gehirn muss in extremen physischen und psychischen Stresssituationen hundertprozentig funktionieren. Meine physische Vorbereitung umfasst mindestens zwölf Stunden pro Woche. Ich muss Schnelligkeit und Reagieren auf Unvorhergesehenes in Erschöpfungszuständen trainieren. Das Mountainbiken in den Alpen ist dafür eine hervorragende Trainingsmöglichkeit, denn es trainiert sowohl das Herz als auch die Augen durch das Suchen nach der besten Linie, ohne Zeit zum Nachdenken zu haben.“
Von allen verfügbaren Marken hast du eine Nischenmarke, einen italienischen Hersteller gewählt. Warum?
„Mir ging es nicht um einen berühmten Namen, sondern um etwas, das zu mir passt. Ich kenne die Verantwortlichen von Thok schon seit langem. Sie haben eine große Leidenschaft für den Motorsport, obwohl die Marke von einem ehemaligen Mountainbike-Profi wie Migliorini geleitet wird. Nicht ohne Grund hat ihnen Ducati die Herstellung seiner E-Bikes anvertraut. Mir gefällt ihr Ansatz und mir gefallen die Fahrräder, die sie herstellen: Sie sind leicht zu fahren und ermöglichen es, technische Anstiege wie die in meinen Bergen zu bewältigen. Zudem bieten sie bei der Abfahrt Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit – ich fühle mich sicher auf ihnen. Ich binde mich lieber an eine „familiäre“ Marke, bei der deine Meinung als Benutzer zählt, anstatt an eine internationale Marke, bei der du einer von vielen Kunden bist und dich an das, was sie wollen, anpasst. Bei THOK habe ich Gehör und Leidenschaft gefunden.“
Du hattest zwei schwere Unfälle auf der Dakar – erzähle uns doch davon.
„Der erste geschah 2015, als ich Beifahrer eines australischen Fahrers bei der Dakar war: Wir sind in einen nicht sichtbaren Graben geraten und nach einem zwei Meter langen Sprung frontal auf einen Felsen geprallt. Er hat sich mehrere Rippen gebrochen und mehrmals das Bewusstsein verloren, bevor der Rettungsdienst eingetroffen ist. Ich musste ihn sechsmal wiederbeleben. Ich hatte großes Glück. Der zweite war 2023 mit Stéphane. Wir sind über eine zwölf Meter hohe Düne gesprungen und bei der Landung hat er das Bewusstsein verloren mit dem Fuß auf dem Gaspedal. Ich habe mir dagegen eine Rippe gebrochen. Noch heute habe ich Metallplatten im Rücken, die hoffentlich bald entfernt werden.“
Wie ist deine Beziehung zur Angst?
„Angst ist etwas, was in diesem Beruf notwendig ist. Sie spornt an, dich so gut wie möglich auf die Rennen vorzubereiten, um die höchste Wahrscheinlichkeit zu haben, dass alles gut geht. Das erzeugt zwar intensiven Stress, ist aber auch ein positiver Antrieb, um dich selbst zu Verbesserungen zu motivieren. So sehr du dich auch vorbereitest, der Augenblick, in dem du den Sturzhelm aufsetzt, die letzten Minuten vor dem Start, ist reinster Stress. Du weißt, dass die Risiken real sind. Aber sobald du gestartet bist, gehst du voll in der Arbeit auf. Du hast keine Zeit mehr zum Nachdenken.“