Wir haben die Gelegenheit für eine erste Praxisfahrt in Oberschwaben genutzt
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Der neue CentriX E-Bike-Antrieb von ZF Micro Mobility entwickelte sich bereits vor der Eurobike 2024 zum Gesprächsthema der Branche. Auf der Weltleitmesse in Frankfurt avancierte das kompakte Antriebssystem dann zu einem der meistgefragten Testprodukte im E-Bike-Segment. Auch wir nahmen dort eine erste Probefahrt vor und ließen uns die technischen Details erläutern. Da die ebenen Teststrecken auf dem Messegelände für ein aussagekräftiges E-MTB-Testing jedoch wenig geeignet sind, wollten wir den vielversprechenden Motor unbedingt auch im anspruchsvollen Gelände testen. Nun hatten wir endlich die Gelegenheit dazu!

Unser Testbike: Das Raymon Tarok Ultra

Für unseren Trail-Test stellte uns Raymon zusammen mit ZF mehrere Vorserienmodelle des Tarok Ultra zur Verfügung. Die E-Mountainbikes, die im Frühjahr 2025 in den Handel kommen sollen, präsentierten sich bereits sehr nah am finalen Produktionsstand – lediglich kleine optische und haptische Details sollen noch optimiert werden.

ZF CentriX First Ride 2024

Der neu entwickelte Carbonrahmen des Tarok Ultra setzt auf hochwertige HSC-Fasern und überzeugt durch seine raffinierte Rahmenarchitektur sowie moderne Trailbike-Geometrie, deren finale Werte wir hier noch nachreichen.

Geometrie Raymon Tarok
RahmengrößeMLXL
Oberrohr (mm)602625650
Steuerrohr (mm)120120120
Lenkwinkel (°)656565
Sitzrohr (mm)425455490
Sitzwinkel (°)757575
Kettenstrebe (mm)459459459
BB Drop (mm)-24,7-24,7-24,7
Reach (mm)441465484
Stack (mm)632632650
Radstand (mm)123112541281

Raymon bietet den Rahmen in den drei Größen M, L und XL an, wobei wir das Testbike in Größe L bei 1,80 Meter Körpergröße und 82 Zentimeter Schrittlänge gefahren sind.

In Sachen Federung vertraut Raymon auf Premium-Komponenten von FOX: Die Factory-Versionen der 38er-Gabel und des Float X2 Dämpfers sind beeide Herr über 160 Millimeter Federweg. Die Schaltung erfolgt über eine SRAM X0 Eagle AXS Transmission, während die SRAM Maven Silver mit groß dimensionierten Bremsscheiben für sichere Verzögerung sorgt.

Das Mullet-Setup rollt auf Newmen Phase 30 Carbon-Laufrädern, die mit Continental Kryptotal Reifen bestückt sind. Dabei kommt vorne die SuperSoft-Mischung mit Enduro-Karkasse zum Einsatz, hinten die Soft-Mischung mit verstärkter Downhill-Karkasse. Die Höhenverstellung des Sattels übernimmt eine mechanisch betätigte Variostütze aus eigener Entwicklung.

Eine detaillierte Vorstellung des Bikes findet man bereits in unserem separaten Artikel zur neuen Tarok-Baureihe. Der Hauptfokus unseres heutigen Tests liegt jedoch auf dem neuen ZF CentriX Antriebssystem, das wir nun endlich artgerecht auf technischen Trails testen konnten.

Raymon Tarok Ultra 2025

Motor: ZF CentriX 90, 250 W, 90 Nm
Batterie: ZF SI756, 756 Wh
Display: ZF Color Display / ZF Pure Remote
Rahmen: Carbon, 160 mm
Gabel: FOX Float 38 Factory, 160 mm
Dämpfer: FOX Float X2 Factory
Schaltung: Sram X0 Eagle Transmission,1×12
Bremsen: Sram Maven Silver, 200 mm v/h
Kurbelgarnitur: Raymon FC40
Vorbau: n/a
Sattelstütze: Raymon Dropper Post
Sattel: Raymon 143 VM Fit
Laufräder: Newmen Phase 30 (Mullet)
Reifen: Continental Kryptotal-F, Enduro, SuperSoft / Continental Kryptotal-R, Downhill, Soft
Gewicht: ca. 22,9 kg
zul. Gesamtgewicht: 130 kg
Preis: 10.499 EUR

ZF CentriX: Technische Innovation im Detail

Der ZF CentriX steht für einen grundlegend neuen Ansatz im E-Bike-Antriebssektor. Die Innovation zeigt sich bereits in der außergewöhnlich kompakten Bauform: Mit einem Durchmesser von nur 88 Millimetern und einem Gewicht von 2,5 kg kann der Motor direkt neue Maßstäbe in der Full-Power-Klasse setzen.

CentriX; Bild: ZF

Dabei liefert die Antriebseinheit ein maximales Drehmoment von 90 Nm bei einer Spitzenleistung von 600 Watt. Eine clever integrierte Kupplung sorgt für den Schutz des Antriebsstrangs vor Überlastungen. Diese ist auf Lebensdauer ausgelegt, man muss hier nicht an einen Austausch denken.

Bild: ZF

Grundlage für den Motor ist das Prinzip eines Wellgetriebes, ein Präzisionsgetriebe mit zahlreichen Vorteilen gegenüber oft verwendeter Planetengetriebe. Das auch Zykloidgetriebe genannte Konstrukt weist so gut wie keine Spielzunahme über die Lebensdauer auf und kommt ohne Vorstufen für eine breite Untersetzung aus.

Beim CentriX liegt die gesamte Konstruktion inklusive Sensorik und Antriebsmotor auf einer Achse, so dass hier eine sehr kompakte Bauform erzielt werden konnte. Wärme wird durch ein spezielles Getriebeöl abgeleitet, zudem ist die Skid Plate für die Wärmeableitung notwendig.

Bild: Raymon

Das innovative Gesamtkonzept wird durch ein durchdachtes Komponentensystem vervollständigt: Neben dem CentriX-Motor, der auch als 75 Nm Variante verfügbar ist, bietet ZF zwei Akkuvarianten mit 504 Wh (3,2 kg) oder 756 Wh (4,2 kg) an. Die moderne Bedienerschnittstelle besteht aus einem 2,8-Zoll-Touch-Display mit Turn-by-Turn-Navigation sowie einer ultraleichten, nur 35 Gramm schweren Remote an der linken Lenkerseite.

Bild: ZF

Bild: ZF

Im Zentrum der Technologie steht der Core Controller. Dieses elektronische Herzstück vereint klassische Bedienungsfunktionen über integrierte Tasten mit zukunftsweisender Vernetzung durch eine Bluetooth-Schnittstelle zur zugehörigen App. Ein besonders durchdachtes Feature für längere Touren: Die magnetische Schnittstelle zum Laden von Smartphones während der Fahrt. Sämtliche Fahrdaten lassen sich dabei in Echtzeit abrufen.

Die durchdachte Systemarchitektur zeigt sich besonders in der Montage: Der Motor lässt sich mit nur vier Schrauben und zwei Steckern befestigen – das vereinfacht nicht nur die Erstmontage, sondern auch spätere Servicearbeiten erheblich.

Bild: ZF

In unserem Praxistest konnten wir die versprochene Servicefreundlichkeit direkt vor Ort überprüfen: Motor ausbauen, (wieder einbauen haben wir gelassen 😉 ) – tatsächlich eine Sache von wenigen Minuten und ohne komplizierte Spezialwerkzeuge. Die Kabelführung ist aus unserer Sicht intelligent gelöst, mit kurzen Wegen für alle Komponenten.

Bild: ZF

Die Zukunftsfähigkeit des Systems wird durch seine offene Plattform-Architektur unterstrichen. Die ausgeklügelte Kabelführung mit strategisch platzierten Steckplätzen am Battery Terminal und im Oberrohr ermöglicht nicht nur kurze Verbindungswege, sondern auch die einfache Integration zusätzlicher Komponenten. Die maximale Ausgangsleistung z.B. für ein Frontlicht beträgt 16 Watt.

Dabei setzt ZF auf europäische Fertigung und bringt zudem seine umfangreiche Expertise aus den Bereichen Elektromobilität, Getriebebau, Industrietechnik und Motorsport ein – ein Technologietransfer, der sich im E-Bike-Segment von Vorteil erweisen könnte.

ZFs Engagement im E-Bike-Segment dokumentiert eine konsequente Entwicklung: Was 2017 mit ersten Konzeptstudien auf der Eurobike in Friedrichshafen begann und sich in der erfolgreichen Kooperation mit BMZ zum Sachs RS Antriebsportfolio weiterentwickelte, erreicht nun mit dem CentriX eine neue Dimension.

Der Technologiekonzern verfolgt dabei eine klare Strategie: Der CentriX wurde von Grund auf als offenes, servicefreundliches System konzipiert. Diese Flexibilität ermöglicht den Einsatz in einem breiten Anwendungsspektrum – vom anspruchsvollen E-Mountainbike bis hin zum professionellen E-Cargobike. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der einfachen Integration und Wartung, wodurch sowohl OEM-Hersteller als auch der Fachhandel von optimierten Prozessen profitieren sollen.

ZF CentriX im Praxistest

Nach der theoretischen Betrachtung war es Zeit für den Praxistest unter realen Trailbedingungen. Das Raymon Tarok, als erstes E-Mountainbike mit dem ZF CentriX, wurde spezifisch für diesen Antrieb entwickelt – eine Symbiose, die sich bereits beim ersten Aufsteigen bemerkbar macht. Besonders auffällig: Die Geometrie und Gewichtsverteilung kommen einem konventionellen Mountainbike erstaunlich nahe.

Antriebsverhalten im Gelände

Die Bedienung der verschiedenen Fahrstufen erfolgt intuitiv über die kompakte Lenkerremote. Statt uns auf die gebauten Flowtrails des Bikeparks Weingarten zu beschränken, wählten wir bewusst die anspruchsvolleren, naturbelassenen Trails der Umgebung. Hier konnten wir sowohl die Reaktivität des Antriebs als auch seine Klettereigenschaften unter echten Bedingungen testen.

Der CentriX überzeugte dabei auf ganzer Linie: Die präzise Kraftentfaltung bei Steigungen ermöglicht ein kontrolliertes Klettern selbst an technisch anspruchsvollen Passagen. Bemerkenswert ist der absolut spielfreie, klapperfreie Lauf auch in ruppigem Gelände – ein wichtiger Aspekt für die Langlebigkeit des Systems. Die feinfühlige Leistungsabgabe bei technischen Passagen rundete das positive Gesamtbild ab.

Performance & Fahrdynamik

Besonders beeindruckend zeigte sich der Antrieb im Wechselspiel zwischen flowigen Abfahrten und technischen Auffahrten. Der CentriX reagiert äußerst sensibel auf Pedaleingaben und stellt seine Leistung dosiert zur Verfügung.

Ein Beispiel: Als in einer steilen Auffahrt das Vorderrad kurz abhob, ließ sich die Situation durch minimale Pedaldruckanpassung sofort kontrollieren – ein Beleg für die gelungene Abstimmung des Systems.

Geräuschentwicklung & Charakteristik

In puncto Akustik zeigt der CentriX ein charakteristisches Profil: Bei moderater Belastung arbeitet er dezent im Hintergrund. Erst unter hoher Last, etwa an steilen Anstiegen bei niedrigem Tempo, tritt die von ZF als “turbinenartig” beschriebene Geräuschkulisse deutlicher hervor.

Diese ist zwar wahrnehmbar, aber keineswegs störend – sie unterscheidet sich vielmehr von bekannten Antriebssystemen durch ihren einzigartigen Klangcharakter. Bedingt wird der charakteristische Sound durch die Bauart auf einer Achse.

Eine technische Besonderheit zeigt sich im Zusammenspiel von Motorgeräusch und Kraftübertragung: Während der charakteristische Sound des Motors unmittelbar beim Antreten zu vernehmen ist, erfolgt die eigentliche Kraftübertragung durch die integrierte Kupplung auf das Kettenrad mit einer leichten Verzögerung.

Diese zeitliche Staffelung zwischen akustischem Feedback und spürbarer Leistungsentfaltung ist ein weiteres charakteristisches Merkmal des Systems. Den präzisen Eingriffswinkel des Antriebs werden wir in einem Update nachreichen, da hierzu auch vom Produktmanagement während des Tests keine exakten Werte vorlagen.

Nachlaufverhalten & Ansprechcharakteristik

Interessante Erkenntnisse lieferte auch der Vergleich zwischen aktiviertem und deaktiviertem Nachlauf. Das System ermöglicht einen Nachlauf von maximal 1,7 Metern (bei gesetzlich erlaubten 2 Metern), wobei die Übergangsgeschwindigkeit bei etwa 8 km/h liegt.

Im ebenen Gelände fallen die Unterschiede zwischen den Modi kaum auf, an Steigungen unterhalb der Übergangsgeschwindigkeit wird der Effekt spürbarer. Im Vergleich zu anderen Antrieben im Markt wurde der Effekt subjektiv schwächer empfunden.

Kletterfähigkeit & Anfahrverhalten

Die Klettereigenschaften des CentriX zeigten sich besonders beim Anfahren am Berg. Im Boost-Modus liefert der Antrieb seine volle Leistung, was bei unvorsichtiger Dosierung zum Aufbäumen des Vorderrads führen kann.

Der Sport-Modus ermöglicht dagegen ein kontrolliertes, smoothes Anfahren auch in technischem Gelände. Besonders in Spitzkehren macht sich diese präzise Abstimmung bezahlt, die ein sauberes Durchfahren auch enger Kehren ermöglicht.

Ein Leistungsabfall (Derating) war auch bei längeren Steigungen nicht feststellbar – wobei die moderaten Temperaturen während des Tests berücksichtigt werden müssen. Hier wird ein längerer Test vielleicht mehr Aufschluß bringen.

Bedienkomfort & Konnektivität

Das ZF Color Display setzt neue Maßstäbe in Sachen Benutzerfreundlichkeit. Die hervorragende Ablesbarkeit wird durch eine intuitive Touchscreen-Bedienung und Personalisierung der Screens ergänzt, die ohne Smartphone-Zwang auskommt.

Aus Sicherheitsgründen aktiviert sich ab 5 km/h eine automatische Displaysperre – eine durchdachte Funktion, die die Konzentration auf den Trail gewährleistet. Die optionale ZF Ride App erweitert die Funktionalität zusätzlich, ist aber für die Grundfunktionen nicht erforderlich.

Fazit

Der ZF CentriX hat in unserem ersten ausführlichen Test auf dem Trail die hohen Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern in vielen Bereichen übertroffen. Die Ingenieure aus Friedrichshafen haben ihre Ankündigungen in die Tat umgesetzt und zeigen mit dem CentriX eine überzeugende Alternative zu den etablierten Antriebssystemen im Premiumsegment. Besonders die durchdachte Servicefreundlichkeit könnte dem System einen entscheidenden Marktvorteil verschaffen. Die Möglichkeit, die Antriebseinheit mit wenigen Handgriffen zu warten oder auszutauschen, dürfte nicht nur beim Fachhandel auf große Zustimmung stoßen. Diese gute Handhabbarkeit, gepaart mit der überzeugenden Performance auf dem Trail, positioniert den CentriX als vielversprechenden Neueinsteiger im umkämpften E-Bike-Antriebsmarkt. Die finale Bewertung wird jedoch der Praxiseinsatz bei den Endkunden liefern. In einem längeren Test werden wir selbst das Antriebssystem noch intensiver unter die Lupe nehmen, zusätzliche Funktionen erkunden und auch eventuelle Schwachstellen aufspüren. Über unsere Langzeiterfahrungen werden wir dann in einem ausführlichen Follow-up-Test berichten.

Alle weiteren Details findet man dann auf den Webseiten von ZF E-Bike Systems und Raymon Bicycles.

Bilder: s. Kennz.