Verkehrspolitiker aus Bund und Ländern waren sich beim Parlamentarischen Abend des ADFC einig, dass Radschnellwege enormes Potenzial haben, Autofahrer auf das Rad zu bringen und damit Stau- und Klimaprobleme von Ballungsgebieten in den Griff zu bekommen. Pläne gibt es überall in Deutschland – nur bei der Finanzierung klaffen riesige Lücken. Der Bund zieht sich bei der Finanzierungsfrage bisher auf Nicht-Zuständigkeit zurück. Doch im Laufe der teils hitzig geführten Podiumsdebatte keimte Hoffnung auf.
Im Ruhrgebiet und den Großräumen Hannover, Frankfurt, Nürnberg und München liegen Pläne für Radschnellwege in Schubladen – und kommen kaum voran. Denn: Die Zuständigkeiten für diese neue Form von überregionaler Infrastruktur sind ungeklärt und die Kommunen mit der Finanzierung überfordert. Das gilt auch für das ambitionierteste Projekt, den Radschnellweg 1 (RS1), quer durch das Ruhrgebiet. Eine vom Bund finanzierte Machbarkeitsstudie hat gezeigt, dass etwa 52.000 Pkw-Fahrten mit über 400.000 gefahrenen Kilometern eingespart und auf das Rad verlagert werden könnten. Bei einem Investitionsvolumen von etwa 184 Millionen Euro braucht das Land Unterstützung des Bundes.
Die Statements des Parlamentarischen Abends 2016
NRW-Verkehrsminister Michael Groschek: „1,6 Millionen Bürger zwischen Duisburg und Hamm warten auf die Nachricht, dass es mit dem Radschnellweg 1 zügig voran geht. Dort kommen sie künftig schnell, sicher und entspannt zur Arbeit oder zur Uni, und entlasten gleichzeitig die Autostraßen. Der RS1 hat das Potenzial, eine weltweite Blaupause für innovativen Verkehr in Ballungsräumen zu werden.“ Wer Mobilität in die Metropolen bringen wolle, komme an Radschnellwegen nicht vorbei, so Groschek in der Diskussion.
In den Niederlanden hat der Bund seit 2006 im Rahmen des Programms „Fiets filevrij“ 80 Millionen Euro in den Bau von Radschnellwegen investiert, um Stau-Probleme zu lösen. Der deutsch-niederländische Architekt Stefan Bendiks sagte: “Wir wissen, dass ein Drittel des Staus auf Autobahnen aus lokalem Verkehr besteht. Diese lokalen Fahrten können auch Radschnellwege aufnehmen.“
300 Kilometer Radschnellwege gibt es in den Niederlanden schon, 600 weitere Kilometer sind in Planung. In Deutschland sind es nur zwischen 10 und 40 Kilometer, je nach Auslegung des Begriffs. Die Erfolge der Nachbarn sind greifbar: In niederländischen Regionen mit Radschnellwegen fahren 25 Prozent der Berufstätigen mit dem Rad zur Arbeit – in Deutschland sind es nur 11 Prozent. Bendiks weiter:
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, betonte den Klima-Effekt von Radschnellwegen: „Das Fahrrad gehört zur nachhaltigen Mobilität. Radfahren ist aktiver Schutz der Umwelt und mehr Lebensqualität für die Menschen. Radschnellwege sind daher eine zeitgemäße Maßnahme: Auch für größere Entfernungen etwa im Stadt-Umland-Verkehr schaffen sie attraktive Alternativen.“ Wenn man die Jahresleistung eines durchschnittlichen deutschen Radlers, nämlich etwa 300 Kilometer, verdoppele – würde das jährlich 40 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Ohne Beiträge des Verkehrs-Sektors seien die Klimaziele von Paris nicht zu schaffen, so Schwarzelühr-Sutter.
ADFC-Verkehrsvorstand Ludger Koopmann forderte erneut die Unterstützung des Bundes: „Der Personenverkehr wächst bis 2030 zweistellig weiter – und jeder Bundesbürger steht schon jetzt 38 Stunden im Jahr im Stau. Wenn wir über die Mobilität der Zukunft reden, ist nicht mehr Auto die Lösung, sondern weniger! Radschnellwege sind das Lösungskonzept gegen verstopfte Autobahnen. Und dafür liegt die Verantwortung beim Bund!“
Prof. Dr. Stefan Klinski, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, verstärkte die ADFC-Forderungen durch Ergebnisse aus einem aktuellen Rechtsgutachten. Der Bund könne durchaus Bauprojekte von besonderer Bedeutung mitfinanzieren – und das solle er bei den Radschnellwegen auch tun, so Klinski.
Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bekräftigte zwar die bekannte Position, dass Radschnellwege nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundes fielen. Aber: Wenn Radschnellwege im Umfeld von Bundesfernstraßen verliefen, könne der Bund prüfen, ob er sich an Teilstücken zu beteiligt, so Barthle. Diese Botschaft wurde von vielen Anwesenden als Fortschritt wahrgenommen.
ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork fasste die Erwartungen so zusammen:
Über 120 Parlamentarier, Verbände- und Unternehmensvertreter waren auf Einladung des ADFC am 30. Mai 2016 zum Parlamentarischen Abend in die Landesvertretung des Saarlandes nach Berlin gekommen.
Hintergrund: Zügig und komfortabel – auch über längere Distanzen
Radschnellwege werden in den Niederlanden („Snelfietsroutes“) und in Flandern („Fietsostrades“) bereits seit einigen Jahren erfolgreich als Alternative für Pendler, Lastentransporte und Freizeitfahrten genutzt. Kerngedanke solcher Premiumradwege ist, das komfortable und zügige Fahrradfahren auch über längere Distanzen zu ermöglich.
Dafür werden Radschnellwege separat vom Kfz-Verkehr mit einem leichtläufigen Belag, großzügiger Breite und einer weitgehend geraden, kreuzungsfreien Streckenführung ausgestattet. Ziel ist, dass sich die Radstrecke als Alternative zum Autofahren bewähren kann – und dass darauf auch längere Strecken (10-15 km) als sonst mit dem Rad üblich (bis 5 km) zurückgelegt werden.
Radschnellwege rechnen sich 5-fach
In der Machbarkeitsstudie für den RS1 wurde ein Return on Invest von 4,8 errechnet. Das bedeutet, dass der rechnerische Nutzen – durch verbesserte Gesundheit und verringerte Unfallzahlen – fast fünfmal so hoch ist, wie die Kosten. Premiumradwege gibt es nicht zum Nulltarif, aber sie sind im Verhältnis zum konventionellen Straßenbau immer noch günstig. Ein Kilometer Autobahn ohne Tunnel und Brücken kostet überschlägig 10 Millionen Euro – ein Kilometer RS1 weniger als ein Fünftel – nämlich etwa 1,8 Millionen Euro.
Weitere Informationen zum Thema Radschnellwege gibt es in der „Fachbroschüre Radschnellwege“ auf den Seiten der AGFS oder direkt beim ADFC.
19. Juni 2016
Sehr unterstützenswert die Radschnellwege! Ich fahre ohne diese Wege bereits die angesprochenen 300 km in 2 Wochen statt in einem Jahr, und täglich 15 km zur Arbeit und 15 km zurück. Wenn außerhalb geschlossener Ortschaften eine höhere Unterstützung als bis 25 km/h bei Pedelecs zulässig wären, könnte der Radius nochmal signifikant vergrößert werden. Auch Radfahrern kann man zutrauen eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h innerorts auf Radwegen einzuhalten, so wie die Autofahrer sich an 50km/h halten müssen.
Wenn die Schnellwege kreuzungsfrei würden, wie Autobbahnen, vergrößert sich der mögliche Radius nochmals.
Einen weitereren Akzeptanzsprung würden moderne Fahrzeuge zwischen Fahrrad und Auto bringen, die bei < 1m Breite die Radinfrastruktur nutzen dürfen und als schicke Cabrios die Witterungsempfindlichkeit beseitigen.