Mit dem brandneuen Specialized S-Works Turbo Levo 2022 geht der kalifornische Hersteller so nah wie noch nie an die Grenze des technisch Machbaren heran. Allein die Bestückung mit Komponenten aus dem obersten Regal machen allerdings noch kein E-Mountainbike auf höchstem Niveau aus. Hier müssen auch die Bauteile bestmöglich aufeinander abgestimmt sein. Hat das Team von Specialized dies geschafft? In unserem neuesten Test haben wir versucht, dies herauszufinden.
Höher, schneller, Specialized S-Works Turbo Levo 2022?
Erst Ende März 2021 wurde die dritte Generation der Turbo Levo E-Mountainbikes von Specialized vorgestellt. Äußerlich nur auf den 2. Blick vom Vorgänger zu unterscheiden, hat das Team aus Kalifornien und der Schweiz das Modell in zahlreichen Details verbessert. So bringt die Neuheit für 2022 nicht nur einen komplett neu entwickelten Carbonrahmen mit, sondern unterzog auch viele Bauteile und Eigenentwicklungen evolutionären Änderungen.
Der neue Rahmen geht nun mit einer mehrfach einstellbaren Geometrie einher, wobei das Modell nun auch als Mullet-Bike konzipiert ist. Über einen Flip-Chip am Horst Link kann die Geometrie angepasst werden, was in der niedrigen Einstellung zu einer Tretlagerabsenkung von 7 mm führt.
Neu ist die Variation des Lenkwinkels zwischen 63° und 65,5°, die über verschiedene Lagerschalen bzw. dessen Verdrehen realisiert wird. Dabei muss nur die obere Lagerschale getauscht werden, die untere bleibt unangetastet.
Der Federweg vorne wie hinten wird über neueste Komponenten von Fox realisiert, wobei die Federwege nicht geändert wurden. Bei unserem getesteten S-Works Modell gibt es zudem keine störenden Züge, denn sowohl die XX1 Eagle Schaltung von Sram wie auch die Rock Shox Reverb Sattelstütze nutzen den proprietären AXS-Funkstandard. Einzig die verbauten Magura MT7 sind noch auf Leitungen angewiesen und bringen Bremsscheiben im Durchmesser von 200 mm vorne und hinten mit.
Der weiter auf dem Brose Drive S Mag basierende Antrieb wurde zum Specialized 2.2 Motor weiterentwickelt, was sowohl die Hardware aber vor allem die Software betrifft. Keine Riemenrisse mehr und gleichbleibende Unterstützung bis zur letzten Wattstunde im Akku soll die Folge der Weiterentwicklung sein. Der von unten eingeschobenen Specialized M3 Akku mit 700 Wh ist dabei gleich geblieben, genauso wie das Drehmoment von 90 Newtonmetern.
Überarbeitet hat Specialized auch am Ladeanschluss für den Akku und diesen dreifach gegen das Eindringen von Wasser abgedichtet. Allerdings finden wir die Position der Klappe seitlich am Motorcover nicht optimal, da dieses damit der Beschädigung durch die Kurbel ausgeliefert ist. Einmal nicht aufgepasst und das E-MTB bei geöffneter Klappe auf eine bessere Position geschoben, führte am Testbike leider zu einem Riss am Scharnier der Verschlussklappe! 🙁 Ärgerlich.
Waren die Modelle von Specialized in der letzten Zeit einzig mit reduzierten LED-Anzeigen ausgerüstet, so bringt die neue MasterMind TCU ein Display zurück an das Turbo Levo der 3. Generation. Das kleine, aber ausreichend dimensionierte Display soll den Fahrer mit den wichtigsten Informationen versorgen und ist über die Mission Control-App individuell anpassbar.
Individuell anpassbar sind auch die Unterstützungsstufen, erstmals aber auch während der Fahrt. Hier kann man während der Fahrt per langem Druck auf die jeweilige Taste in einen neuen Modus wechseln, der eine MicroTune genannte Feinabstimmung in 10 %-Schritten zulässt und so beispielsweise eine Anpassung der Motorleistung an verschiedene Streckenabschnitte unterwegs zulässt. Ebenfalls kann die Leistungsabgabe an die Herzfrequenz des Fahrers gekoppelt werden und so das individuelle Training auf ein neues Level gebracht werden.
Die zahlreichen Möglichkeiten der Software sind auch nach mehreren Wochen Test kaum allesamt zu erfassen und lassen sich wohl nur über einen längeren Zeitraum in allen Details ausprobieren. Was aber auch nach kurzer Zeit klar wird, ist die Tatsache, dass Specialized im Vergleich mit der Konkurrenz hier eindeutig den Ton angibt und das aktuell Machbare (und Sinnvolle) nahezu komplett ausschöpft.
Auch an der Hardware hat man im Detail gearbeitet und das Turbo Levo im Vergleich mit dem Vorgänger an prägnanten Stellen nah vorne gebracht. Der unsichtbare Sensor für die Geschwindigkeitserfassung schlägt dabei in dieselbe Kerbe wie der Schutz neuralgischer Stellen mit Teilen aus Gummi, optimierte Dämpfungen für die Kettenstrebe, Abdeckungen für die Hauptlager oder aber das Swat CC-Tool anstatt der Ahead-Kappe im Gabelschaft.
Trotz des Faktes, dass nun auch Dämpfer mit Ausgleichsbehälter verwendet werden können, hat Specialized es mit konstruktiven Mitteln geschafft, dass im Rahmendreieck trotzdem Standard-Trinkflaschen ihren Platz finden. Die Rock Shox Reverb AXS trägt ganz klar zu einem cleanen Cockpit bei, allerdings erkauft man sich beim S-Works Modell damit eventuell einen zu geringen Verstellweg, gerade bei den beiden Größen S5 und S6. Bei der von uns getesteten S4-Variante stellte sich die Bandbreite zur Verstellung mit 170 mm aber als ausreichend dar.
Das Turbo Levo der dritten Generation ist nur knapp über 22 Kilogramm leicht, was nicht zuletzt an den sündhaft teuren Carbonfelgen der Eigenmarke Roval geschuldet ist. Diese sind mit ebenfalls hauseigenen Reifen bestückt, die aber beide nur mit Grid Trail Karkasse ausgerüstet sind. Vielleicht zu wenig, um es auf dem Trail so richtig krachen zu lassen, vor allem für etwas schwerere Fahrer.
Auf dem Trail
Für den Test des Specialized S-Works Turbo Levo 2022 haben wir uns auf die anspruchsvollen Trails am Königsstuhl bei Heidelberg gewagt. Unser Fahrer kennt die Strecken dort aus dem Effeff und konnte dem neuen Modell daher so richtig auf den Zahn fühlen. Begeistert war er von der Top-Level-Ausstattung des S-Works und auch, wie leicht es trotz aller Technik geworden ist.
Schon auf dem Weg zu den besten Stellen auf dem Trail lässt sich das neue S-Works Turbo Levo agil und vor allem schnell bewegen. Kein Wunder, dass man stets versucht ist, an nahezu allen passenden Stellen abzuziehen und so das E-Trailbike in die Luft zu bringen. Dank gutem Gegenhalt des Fahrwerks ist es kein Problem, das neue Levo richtig fliegen zu lassen.
Es machte ihm dabei viel Spaß, markante Stellen einfach zu überspringen…
…und so viel Airtime zu generieren,…
… was auf natürlichen Trails bergab genauso gelingt, wie auch auf gebauten Downhill-Strecken.
Auf dem neuen S-Works Turbo Levo fühlt man sich immer sicher und muss auch auf steilsten Abschnitten bergab nicht mit Überschlagsgefühlen kämpfen. Auf Trails in der Ebene profitiert man vom gutmütigen Fahrverhalten und der zentralen Sitzposition, die einen die Strecke mit hoher Geschwindigkeit und unbeirrtem Überrollen von Wurzeln, Steinen oder Bodenwellen absolvieren lässt.
Der Antrieb ließ sich dabei gut dosieren und auf die jeweils benötigte Unterstützung einstellen. Die schrittweise Anpassung der Antriebsleistung per MicroTune ist dabei sehr gut gelungen und bringt echte Vorteile, auch auf Strecken, die man schon kennt. Im Uphill kann man auf die Leistung des Specialized 2.2 Antriebs vertrauen, für den es ein Leichtes ist, das Vorderrad an steilen Stellen auch abheben zu lassen.
Auch der Autor hat sich davon hinreißen lassen, das Specialized S-Works Turbo Levo schnell über einen flowigen Trail zu bewegen und dabei direkt einmal Luft unter die Räder zu bekommen. 😉
- leichter Rahmen mit praktischen Details
- starker, sehr gut abgestimmter Antrieb
- gute MicroTune-Funktion
- Mastermind TCU nahezu optimal
- High-End-Komponenten top abgestimmt
- diffizil auf Anforderungen abstimmbar
- leise auch auf härtesten Trails
- sehr griffige Reifen
- große Trinkflasche im Rahmen möglich
- Kontaktpunkte nahezu optimal
- hoher Preis
- Ladeport etwas over-engineered
Specialized S-Works Turbo Levo 2022
Motor: Specialized 2.2, 250 W, 90 Nm
Batterie: Specialized M3, 700 Wh
Display: Specialized Mastermind TCU
Rahmen: Carbon, 150 mm
Gabel: Fox Float 38 Factory 29, 160 mm
Dämpfer: Fox Float X2 Factory
Schaltung: SRAM XX1 Eagle AXS, 1×12
Bremsen: MAGURA MT7, 203 mm v/h
Kurbelgarnitur: Praxis carbon M30, 160 mm
Vorbau: Deity Copperhead, 35 mm
Sattelstütze: RockShox Reverb AXS
Sattel: Specialized Bridge
Laufräder: Roval Traverse SL 29/27,5″
Reifen: Butcher 29×2.6″ / Eliminator 27.5×2.6″, v/h
Gewicht: 22,04 kg
zul. Gesamtgewicht: 131 kg
Preis: 13.999 EUR
Transparenzhinweis: Das neue S-Works Turbo Levo 2022 wurde uns seitens der Specialized Germany GmbH für den Testzeitraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Auf das Testergebnis und unsere Meinung hatte dies keinen Einfluss.
Unser Fazit | Specialized S-Works Turbo Levo 2022 – neues Über-E-MTB im harten Praxistest
Überirdisch
Mit dem S-Works Turbo Levo 2022 legt Specialized die Latte in Sachen E-Trailbikes nochmals höher und lässt in die dritte Generation zahlreiche spannende Änderungen einfließen. Dabei fällt auch auf, dass sich der Einsatzzweck gegenüber dem Vorgänger ein wenig mehr in Richtung Downhill verschiebt.
Mit großer Detailverliebtheit haben die Kalifornier ihr Topmodell dabei gestaltet, die sich sowohl an Schlüsselstellen der Hardware wie auch im Software-Trim des neuen Turbo Levo zeigen. An manchen Stellen wirken die Anstrengungen fast schon over-engineered, was uns im Testverlauf durch einen unachtsamen Moment ja auch zum Verhängnis wurde. 🙁
Alles in allem kann das neue S-Works Turbo Levo auf ganzer Linie überzeugen. Die Parts aus dem High-End-Regal wurden gut aufeinander abgestimmt und arbeiten auf dem Trail und im Downhill nahezu perfekt zusammen. Das neue Display und die auch unterwegs in kleinen Schritten anpassbare Motorleistung bringen wirkliche Vorteile mit sich.
Gefallen hat uns auch das geringe Gewicht und vor allem der sehr leise Lauf des Modells auch auf härtesten Trails, was zum edlen Eindruck des S-Works Modells beiträgt. Von uns bekommt das Modell daher das Urteil “Überragend” zugesprochen. Ein Hammer ist und bleibt natürlich der Preis des Modells.