Der deutsche E-Bike-Hersteller Focus hat in Zusammenarbeit mit dem belgischen Unternehmen Rein4ced eine umfassende Lebenszyklusanalyse (LCA) für sog. „thermoplastische Fahrradrahmen“ durchgeführt. Die Studie gibt erstmals detaillierte Einblicke in die Umweltauswirkungen innovativer Rahmenmaterialien jenseits herkömmlicher Aluminium- und Stahlkonstruktionen.
Preisgekröntes JAM² NEXT als Studienobjekt
Grundlage der Analyse war das JAM² NEXT, das kürzlich mit dem iF Design Award ausgezeichnet wurde. Die Jury würdigte dabei insbesondere den nachhaltigen Designansatz und die fortschrittlichen Fertigungsprozesse, die Umweltbewusstsein und Nutzererfahrung harmonisch verbinden.
Das E-MTB markiert einen Wendepunkt in der Rahmenfertigung: Statt herkömmlicher Carbonrahmen mit ihren bekannten Nachteilen – begrenzte Recycelbarkeit, fragmentierte Lieferketten und gesundheitsbedenkliche manuelle Laminierungsprozesse – setzt Focus auf einen automatisierten Produktionsprozess für sog. „thermoplastisches Carbon“.
Sieben Jahre Entwicklungsarbeit
Das Projekt begann bereits 2017 mit der Suche nach einem automatisierten Fertigungsverfahren für recycelbares Carbon (das gibt es aktuell noch nicht). „Wir wollten einen Proof of Concept entwickeln: einen E-MTB-Rahmen aus einem neuen, recycelbaren Carbon-Material für einen hochautomatisierten Produktionsprozess, der das End-of-Life-Szenario mitdenkt“, erklärt Paul Sadowski, Senior Sustainable Design & Materials Engineer bei Focus.
Die größte Herausforderung lag in der Materialreinheit: Während bei herkömmlichen Carbonrahmen Metallinserts eingebacken oder eingeklebt werden, entwickelte das Team abschraubbare Aluminium-Gewindeeinsätze. „Am Ende seiner Lebensdauer soll es so einfach sein wie Mülltrennung zu Hause“, beschreibt Mario Pöss, Team Lead Engineering, das Recycling-Konzept.
Scope-3-Emissionen im Fokus
Focus geht bei der Nachhaltigkeitsstrategie über die üblichen Scope-1- und Scope-2-Emissionen hinaus. „Net Zero-Diskussionen kratzen für eine Bike-Marke wie uns nur an der Oberfläche“, betont Patrick Laprell, Head of Sustainability. „Wir müssen die volle Verantwortung für das übernehmen, was wir kontrollieren können, und die wahren Auswirkungen unserer Produkte von Ende zu Ende angehen.“
Der Rahmen steht dabei im Zentrum, da er zu 100 Prozent von Focus kontrolliert werden kann und einen erheblichen Anteil am CO₂-Fußabdruck ausmacht. Felix Stix, Senior Product Manager, ergänzt: „Carbon ist das ultimative Material für Performance-Bikes, aber die ökologischen Kosten kollidieren mit dem wachsenden Umweltbewusstsein unserer Zielgruppe.“
Kohlefaser dominiert CO₂-Bilanz
Die Analyse nach dem ReCiPe 2016 Midpoint-Standard ergab für einen in Deutschland verkauften Rahmen einen CO₂-Fußabdruck von 152 kg CO₂-Äquivalent – ohne Berücksichtigung von Akku und Nutzungsphase. Den größten Anteil trägt dabei der Kohlefaser-Vorderrahmen mit 114,2 kg CO₂-Äquivalent, gefolgt vom Aluminium-Hinterrahmen mit 16,1 kg CO₂-Äquivalent.
Die Hotspot-Analyse identifizierte die Polyacrylnitril-Faser als Hauptverursacher der Emissionen, da deren Produktion besonders energieintensiv ist. Zusätzlich entstehen durch die erforderlichen Presswerkzeuge und Silikoneinlagen weitere Umweltbelastungen.
Design trifft Nachhaltigkeit
Trotz der neuen Fertigungstechnologie gelang es dem Team, die charakteristische Focus-Designsprache zu bewahren. „Ein Schlüsselelement ist die Focus Face, der Bereich, wo Ober- und Unterrohr auf das Steuerrohr treffen“, erklärt Bianka Haltenort, Senior Product Designer. Der automatisierte Layup-Prozess verleiht der Carbon-Oberfläche eine einzigartige Textur, die die innovative Fertigungsmethode sichtbar macht.
Rohstoffe und Nutzung im Fokus
Bemerkenswert ist die Verteilung der Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus: Rohstoffe und Nutzungsphase verursachen zusammen über 80 Prozent der relevanten Umweltbelastungen. Während die Rohstoffgewinnung 83 Prozent der Feinstaubbildung verursacht, entfallen auf die Nutzungsphase immerhin 28 Prozent der klimarelevanten Emissionen.
Das End-of-Life-Szenario trägt mit 4 Prozent (7 kg CO₂-Äquivalent) verhältnismäßig wenig zur Gesamtbilanz bei – ein Erfolg des recyclingorientierten Designs.
Industrieller Meilenstein trotz Optimierungsbedarf
Die Studie stellt laut der Macher einen wichtigen Schritt in Richtung nachhaltiger Fahrradproduktion dar und liefert der Branche erstmals belastbare Daten zu sog. „thermoplastischen“ Rahmenmaterialien. Trotz der versprochenen Nachhaltigkeitsvorteile zeigt die LCA jedoch, dass auch die innovative „Thermoplast-Technologie“ noch erheblichen CO₂-Ausstoß verursacht. Focus und Rein4ced haben wohl damit Pionierarbeit geleistet, um die Umweltauswirkungen moderner E-Bike-Konstruktionen transparent zu machen und künftige Optimierungspotenziale zu identifizieren.
Verfolgt das Projekt hier weiter: https://www.focus-bikes.com/int/jam2-next-the-new-carbon-age
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