Das leidige Thema der schwammigen Reichweitenangaben bei Pedelecs und E-Bikes sollte bald der Vergangenheit angehören.
Das Problem, im Vergleich zu allen anderen Fahrzeugen, liegt darin begründet, dass der Fahrer mit beliebiger, ungleichmäßiger Leistung den Fahrzeugantrieb mit unterstützt, was sich in extrem unterschiedlichen Fahrleistungen äußert.
Die Firma TRAKTAL erarbeitet, in Zusammenarbeit mit dem Zweirad-Industrie-Verband (ZIV), einen standardisierten Test, der hier Abhilfe schaffen soll.
Vorüberlegung zum Reichweitentest
Die Ausführung von realen Reichweitentests mit realen Fahrern soll verzichtet werden, da die Wiederholbarkeit nicht gegeben ist. Die Streckenbedingungen sind, ebenso wie die Fahrer und die Umwelteinflüsse, selten konstant und schon gar nicht für Ortsfremde reproduzierbar.
Davon abgesehen müssten alle Pedelecs der Welt auf exakt dieser Strecke getestet werden. Schon die weltweite Einigung auf eine bestimmte Strecke wird mit Sicherheit sehr lange dauern.
Der Prüfstand
Die Reichweitentests werden also auf einem geeigneten Rollenprüfstand durchgeführt. Dieser Prüfstand muss mit einem Doppelrollensystem ausgestattet sein, da einige Fahrzeuge Frontantrieb, andere wiederum Hinterradantrieb besitzen.
Die Mittelmotoren, die an der Kette angreifen, treiben ebenfalls über das Hinterrad an. Wichtig ist es, dass beide Räder mit exakt der gleichen Geschwindigkeit rotieren.
Sollten Differenzen auftreten, so detektieren die Antriebssteuerungen einiger Fahrzeuge eine Abweichung, also ein rutschendes Rad, und unterbrechen schlagartig die Leistungsabgabe – ähnlich wie beim ABS.
Diese beiden Rollen müssen also schlupffrei arbeiten und zudem noch längenverstellbar sein, um die unterschiedlichen Fahrzeuggrößen aufnehmen zu können. Die Unsicherheit eines menschlichen Fahrers wird ausgeschaltet, in dem ein geeigneter, präziser Pedeliermotor in die Pedale tritt.
Und dies im wahrsten Sinne des Wortes:
Die Antriebssteuerung des Fahrzeugs erwartet die Leistungsabgabe als eine Art Sinuswelle.
Das einfache, gleichmäßige Antreiben durch einen Elektromotor genügt nicht und würde zum Auftreten einer Störung und damit zum Abschalten führen. Der Prüfstand muss zusätzlich noch in der Lage sein realistische Bedingungen wie Rollreibung, Luftwiderstand, Fahrzeuggewicht, Steigungen und Gefälle realitätsgetreu nachzubilden.
Die Sensorik
Die Schwierigkeit liegt in den unzähligen Unsicherheiten und Parametern die allesamt auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden müssen. Sämtliche Fahrzeuge geben ihre Leistung nur ab, wenn in die Pedale getreten wird. Mehr oder weniger intensiv.
Preiswertere Fahrzeuge besitzen lediglich einen Speedsensor, der die Bewegung der Tretkurbelwelle detektiert. Es spielt also keine Rolle, ob aktiv mitgetreten wird, oder ob man „nur so tut“. Hauptsache die Pedale bewegen sich im Kreis.
Teurere Fahrzeuge besitzen eine Drehmomentwelle, die genau überprüft, wie stark denn wirklich in die Pedale getreten wird und unterstützen dementsprechend.
Es ist also eindeutig die Technik, die den Menschen verleitet mehr oder weniger zu leisten. Viele Fahrzeuge mit Speedsensoren werden in den unterschiedlichen Unterstützungsstufen nicht nur über die Leistung, sondern auch über die zu erreichende Höchstgeschwindigkeit gesteuert.
Das heißt, dass die höchste Geschwindigkeit nur in der höchsten Unterstützung erreicht wird. Soll in einem standardisierten Testlauf auf einem Rollenprüfstand unterschiedliche Geschwindigkeiten gefahren werden, so muss mit der höchsten Unterstützungsstufe gefahren werden.
Das wiederum hat zur Folge, dass das Fahrzeug bei niedrigen Geschwindigkeiten mit aller Kraft versucht die vorbestimmte Geschwindigkeit zu erreichen. Der Prüfstand aber seine, viel niedrigere Geschwindigkeit umsetzt, was wiederum dazu führt, dass das Fahrzeug mit aller zu Verfügung stehenden Leistung gegen an fährt und damit den Akku sinnlos und unrealistisch stark belastet.
Wird, wie in der Realität, die Unterstützung auf die wirklich benötigte, niedrigere Leistung heruntergefahren, so wird die später benötigte höhere Endgeschwindigkeit nicht mehr erreicht. Also muss die Unterstützung ständig angepasst werden.
Wer soll das machen und wo liegen die Entscheidungsparameter?
Wird es richtig gemacht, hat das Fahrzeug eine hervorragende Reichweite. Wird es falsch gemacht, ist das Fahrzeug durchgefallen…
Fahrerleistung
Mit welcher Leistung soll überhaupt getreten werden?
Einige Fahrzeugtypen, wie MTB oder Rennräder geben erst nennenswerte Leistungen ab wenn kräftig getreten wird. Und das erst über einer Trittfrequenz von über 50-60 Umdrehungen/min. Je nach Unterstützungsstufe und auch danach, wie die in der Fahrzeugsteuerung hinterlegten Parameter ausgelegt sind.
Im Gegensatz dazu sind die gemütlichen Tiefeinsteiger, „Senioren-Bikes“, Einkaufs-Shopper oder echte Arbeitstiere mit Kindersitz, Packtaschen und Anhänger und bereits beim leichten Antritt sofort mit der Höchstleistung am Start.
Diese Leistung wird aber oft bei Trittfrequenz von über 60-70 Umdrehungen/min eingeschränkt, um den Fahrer nicht zu überlasten. Wenn also auf einem Fahrzeug stark getreten werden muss und auf einem anderen nicht, ist auch klar mit welchem Fahrzeug weiter gefahren werden kann (Lösung: das auf dem der Fahrer am stärksten mittritt!).
Weiterhin kann dies durch die Auswahl eines zu hohen oder niedrigen Ganges und oder Unterstützungsstufe beträchtliche Unterschiede erzielt werden. So haben manche Pedelecs 21 Gänge mit jeweils fünf oder mehr Unterstützungsstufen.
Einige Pedelecs haben Radnabenmotoren, andere einen Mittelmotor. Die mit den Radnabenmotoren haben den Nachteil, dass ein guter Wirkungsgrad fest an einen Geschwindigkeitsbereich gebunden ist.
Die mit Mittelmotor haben ebenfalls einen Bereich mit hohem Wirkungsgrad. Ist die Drehzahl aber zu hoch oder zu niedrig, kann man einen geeigneteren Gang wählen.
Die Strecke
Damit realistische Reichweiten ermittelt werden können, muss das Fahrzeug auch realistische Strecken zurücklegen. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Steigungen und Gefälle.
Allerdings wird es schwierig, ein Streckenprofil eines MTB, mit dem eines Rennrades und das wiederum mit einem Tiefeinsteiger zu vergleichen. Davon abgesehen ist das Nutzerprofil ebenso ein ganz anderes, wie die Ansprüche an das Fahrzeug.
Es ist als würde man den Spritverbrauch eines PKWs, eines Traktors und einer Asphaltmaschine vergleichen wollen. Die einen Pedelecs sind Sportgeräte auf denen man sich austoben kann/ muss, die anderen sind Transporter.
Zusammenarbeit mit der DHBW
Die Firma Traktal unterstützt die Duale Hochschule in Baden Württemberg (DHBW) mit neuer Software. Somit ist es den Studenten erstmals möglich mit selbst entwickelten Aktoren die Gangschaltung zu betätigen.
Nun können alle Strecken mit Steigungen und Gefälle nicht nur mit unterschiedlicher Unterstützung, sondern auch in den jeweils angepassten Gängen gefahren werden.
Dies erlaubt wesentlich realistischere Messzyklen und ermöglicht auch qualitative Aussagen bezüglich der Haltbarkeit von Gangschaltungen und Antriebssystemen.
Anwendungsbeispiel im Video
Hier gibt es noch ein Beispiel für eine Anwendung des Systems als Qualitätskontrolle in einer Pedelec- bzw. E-Bike Produktion:
https://www.youtube-nocookie.com/embed/2BLmIzgmZgA
Fazit
Es ist vom Fahrzeugtyp, von der Zielgruppe, der eingestellten Unterstützungsstufe, den Gängen, dem Fahrer, -gewicht, der Strecke, dem Einsatzzweck und etlichen weiteren Parametern, wie dem Ladezustand und Temperatur des Akkus und so weiter abhängig, was bei dem Reichweitentest herauskommt.
Erst wenn alles realistisch eingestellt ist, kommt der eigentliche Wirkungsgrad zum Tragen. Da dies alles zusammen eine echte Aufgabe ist, hat sich die Firma Traktal diesem Problem angenommen und prompt eine einfache und gut handhabbare Lösung gefunden.
Diese wird gerade ausgearbeitet, auf mehreren Prüfständen und mit mehreren Fahrzeugen in einem Ringversuch getestet und überprüft. Eine endgültige Veröffentlichung wird voraussichtlich am Anfang nächsten Jahres möglich sein.
24. Oktober 2013
Hallo Georg, genaue Reichweitentests gibt es doch bereits – nur sie würden die (falsche) Marketingstrategie der Branche beenden. Die aus meiner Sicht den durchaus vorhandenen guten Willen un die Toleranz der Käufer ohne Not strapazieren. Wenn man nur tief genug auf der Bosch-Website sucht, findet man erstaunlich exakte Reichweitenangaben, die bei einem Bruchteil der in der Werbung verwandten liegen. Diese entsprechen auch meinen Langzeittests unter Realbedingungen ziemlich genau. So wie ja auch die bekannten Tests von Extra Energy. Aktuell bin ich mit einem KTM itero Power in drei Monaten 5.000 Kilometer unterwegs – im Schnitt 55 Kilometer pro Tag im Sommerhalbjahr im flachen Berlin-Brandenburg. Also ein Drittel weniger als die versprochenen 83 Kilometer bei Vollladung im Standardmodus. Genaugenommen musste ich bei der Zahl aber bereits auf vielleicht einem Viertel der Strecke mit dem ECO-Modus Vorlieb nehmen.
25. Oktober 2013
Bosch möchte diesen falschen Reichweiten-Wettbewerb und Akkugrößen-Wettlauf, der gerade im Gange ist, auch nicht mehr mitmachen. Das hat uns der Produktmanager Daniel Schifferdecker auf der Eurobike mitgeteilt.
Ein Schritt dazu ist der neue Bosch Nyon Bordcomputer, welcher die aktuell erzielbare Reichweite abhängig von der Geländebeschaffenheit und eingestellten Unterstützungsstufe anzeigt.
Mal sehen, wie dieses Beispiel in Zukunft Schule macht. 🙂