In einer Pressemitteilung vom 14.01.2015 forderte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Berlin, Bodo Pfalzgraf, eine Warnwestenpflicht für Radfahrer bei Fahrten in der Dämmerung.
In der Intention löblich, in der Analyse lückenhaft, in der Argumentation fehlerhaft und in der Formulierung tendenziös, meint der pressedienst-fahrrad.
Heiko Truppel, Redakteur: Abrüstung statt Aufrüstung
„Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Das Anlegen einer Warnweste beim Radfahren ist in vielen Fällen durchaus sinnvoll. Nichtsdestotrotz folgt die Forderung nach einer Warnwestenpflicht für Radfahrer einer gestrigen Rüstungslogik, die stets gegenteilige Wirkung hatte: Mehr Straßen sorgen nicht für Entlastung, sondern für mehr Verkehr. Mehr Waffen bringen keinen Frieden, sondern mehr Gewalt. Wir sollten im Verkehr ab- und nicht aufrüsten! Statt Radler – die öfter Opfer als Täter bei schweren Unfällen sind – zur Weste zu zwingen, sollte man Autofahrer zur Mäßigung anleiten: Tempo 30 in der Stadt und 0,0 Promille … das ist zunächst einmal unpopulär, aber mit und zur Sicherheit effektiver. Übrigens sind das keine Phantasien velophiler Utopisten. Das macht die schnellste Stadt der Welt vor – New York: ‚Indem wir New Yorks Fahrer dazu bringen, langsamer zu fahren, werden wir Unfälle verhindern, die New Yorker vor Verletzungen schützen und Leben retten‘, heißt es in einer Erklärung der dortigen Verkehrsbehörde auf Spiegel Online. Statt ein neues Bürokratiemonster zu schaffen, wird dort der bestehende Mechanismus Tempolimit einfach, sinnvoll und zielführend justiert.“
H. David Koßmann, Redakteur: Radfahren muss attraktiv bleiben
„Die Forderung nach der Warnweste erinnert mich stark an die Rufe nach einer Radhelmpflicht. Unterm Strich machen beide Maßnahmen das Radfahren unattraktiver. Radfahren ist clever und wird in den Städten immer wichtiger. Je mehr Menschen aufs Rad steigen, desto sicherer wird es auch – in diese Richtung müssen wir gehen.
Die Weste dagegen wäre eine Kehrtwende. Hinzu kommt, dass sich mittlerweile ein gewisses Stilbewusstsein beim Radfahren etabliert hat. Funktionsbekleidung ist heute salonfähig – weil man ihr die Funktion nicht mehr ansieht. Eine Warnwestenpflicht jedoch nähme dem Stadtradler das Recht auf den eigenen Stil. Warnwesten sind wie Hupen: Man nutzt sie bei besonderer Gefährdung!“
Arne Bischoff, Service-Manager beim pd-f: Es werde Licht!
„Richtigerweise stellt Bodo Pfalzgraf fest, dass zu viele Radfahrer im Dunkeln ohne Licht unterwegs sind. Daraus lässt sich aber erst einmal folgern, dass diese Radfahrer mit vorhandener und intakter Lichtanlage sicherer unterwegs wären. Ein Gleichklang aus besserer Aufklärung und intensiveren Kontrollen erhöht die Lichtquote beim Radfahrer, wie Studien aus Münster zeigen. Eine Warnwestenpflicht wird von den schwarzen Schafen, also den dunklen, weil lichtlosen Radfahrern, höchstwahrscheinlich in gleichem Maße ignoriert, wie dies jetzt bereits bei der Beleuchtungspflicht der Fall ist. Wenn der Polizei das Personal für Lichtkontrollen fehlt, dann gilt dies auch für Warnwesten-Verwarnungen.“
Gunnar Fehlau, Leiter pd-f: Opferschutz statt Uniform
„Fahrrad und Sicherheit … jeder hat eine Meinung, wenige haben Ahnung. Wenn Politiker, Polizisten und Journalisten über Warnwesten für Radfahrer schreiben und Seitenlaufdynamos als Referenz nehmen, von ihren Erfahrungen mit Halogen-Beleuchtung berichten und Radlern rhythmisch blinkende Rücklichter empfehlen, dann läuft etwas kräftig falsch.
Wer einmal mit einer modernen 70-Lux-LED-Lichtanlage mit Standlicht, Senso-Schaltung, Aufblendfunktion, Bremslicht und Tagfahrlicht unterwegs war, der fühlt sich unter allen Lichtverhältnissen als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer. Warnwesten tragen Bauarbeiter und pannengebremste Autofahrer. In beiden Fällen ist etwas kaputt: die Straße oder der Wagen. Wenn Radler fortan Warnwesten tragen müssen, dann ist auch etwas kaputt: nämlich die Verhältnismäßigkeit! Schützt die Opfer, statt sie orange zu uniformieren und damit zu stigmatisieren!“