Die Fahrradindustrie steht vor einer paradoxen Situation: Während sie mit ihren Produkten aktiv zur Verkehrswende und damit zum Klimaschutz beiträgt, hinkt sie bei der Umsetzung umfassender Nachhaltigkeitsstrategien hinterher. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Deloitte, die 50 Unternehmen aus dem DACH-Raum zur Bedeutung und Umsetzung von ESG-Maßnahmen (Environmental Social Governance) befragte.
Bewusstsein vorhanden, Umsetzung mangelhaft
Die gute Nachricht vorweg: Das Bewusstsein für die Relevanz von Nachhaltigkeit ist in der Branche durchaus vorhanden. Mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen bewerten die Bedeutung von Nachhaltigkeit für ihr eigenes Geschäft mit mindestens 7 von 10 Punkten. Bemerkenswerte 96 Prozent sind überzeugt, dass Investitionen in diesem Bereich zum Unternehmenserfolg beitragen.
Doch zwischen Erkenntnis und Handeln klafft eine erhebliche Lücke: Nur 39 Prozent der Unternehmen verfügen über eine klar definierte Nachhaltigkeitsstrategie oder erstellen einen Nachhaltigkeitsbericht. Noch bedenklicher: Von den Firmen, die einen solchen Bericht verfassen, lassen lediglich 32 Prozent diesen von einer unabhängigen dritten Partei prüfen.
Rentabilität vs. Nachhaltigkeit
Ein möglicher Grund für die zögerliche Umsetzung: 79 Prozent der Befragten priorisieren die Rentabilität über Nachhaltigkeitsaspekte. Dies steht im Widerspruch zur eigenen Einschätzung, dass Kunden zunehmend nachhaltige Produkte und Unternehmen bevorzugen – eine Ansicht, die 84 Prozent der Befragten teilen.
Kim Lachmann, Director und Fahrradmarkt-Experte bei Deloitte, kommentiert: „Die Unternehmen haben erkannt, dass es entscheidend ist, ihre gesamte Wertschöpfungskette nachhaltiger zu gestalten, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. ESG-Maßnahmen werden zudem von Regulierungen, etwa dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder der CSRD* der EU, eingefordert. Doch viele Unternehmen wissen nicht, inwieweit sie von dieser Regulatorik betroffen sind. Zudem fehlen oft eine klare Strategie und ein entsprechendes Reporting, um die Wirksamkeit umgesetzter Maßnahmen zu prüfen. Diese wäre aber notwendig, um nicht gegen die Regulatorik zu verstoßen. Insgesamt besteht insbesondere im Hinblick auf Produktionsprozesse und Lieferketten noch Verbesserungspotenzial.“
Erste Schritte in die richtige Richtung
Trotz fehlender übergreifender Strategien haben viele Unternehmen bereits konkrete ESG-Maßnahmen implementiert:
- Umwelt: 90 Prozent setzen Klimaschutzmaßnahmen um, 87 Prozent fördern die Kreislaufwirtschaft.
- Soziales: 98 Prozent priorisieren faire Arbeitsbedingungen, 85 Prozent achten auf Kunden- und Konsumentenrechte.
- Unternehmensführung: 96 Prozent legen Wert auf gute Lieferantenbeziehungen, 94 Prozent auf eine positive Unternehmenskultur.
Ausblick: Steigende Anforderungen
Maximilian Tucher, Partner und Nachhaltigkeitsexperte bei Deloitte, prognostiziert: „Das Thema Nachhaltigkeit wird in der Zukunft an Fahrt aufnehmen, da das Bewusstsein dafür bei den Konsument:innen gestiegen ist und in die Kaufentscheidung einfließt.“
Zudem werden regulatorische Anforderungen wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU schrittweise eingeführt. Diese legt umfassende und transparente ESG-Berichtspflichten für Unternehmen fest.
Fazit
Die Fahrradbranche steht vor der Herausforderung, ihre Vorreiterrolle in Sachen nachhaltiger Mobilität auch auf die eigenen Unternehmensprozesse zu übertragen. Während das Bewusstsein für die Bedeutung von Nachhaltigkeit vorhanden ist, mangelt es noch an konkreten Strategien und transparenter Berichterstattung. Angesichts steigender Kundenerwartungen und verschärfter regulatorischer Anforderungen wird es für die Branche unerlässlich sein, Nachhaltigkeit ganzheitlich in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren. Nur so kann sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben und ihrem Anspruch als umweltfreundliche Alternative im Mobilitätssektor gerecht werden.
Die komplette Studie findet man hier.